Ich beziehe für die nächsten Wochen ein kleines Zimmer mit Dusche in der Nähe des Museums.Früh am Morgen laufe ich bei tropischer Hitze zum Ziegenbalghaus. Durch ein großes Steinportal betrete ich den Hof der einst von Bartholomäus Ziegenbalg gegründeten Waisenhausschule, die einst für Mädchen und Jungen, heute ausschließlich als Jungsschule operiert. Auf dem sandigen Schulhof ist kein Schüler zu sehen.
Im Ziegenbalghaus entdecke ich bei einem Rundgang eine historische Hochdruckpresse, ähnlich wie sie zur Zeit von Bartholomäus Ziegenbalg für den Druck der von ihm ins Tamilische übersetzten Bibel genutzt wurde. Daneben befindet sich ein mannshoher Schrank, gefüllt mit tamilischen Holzlettern. Spontan frage ich Dayana, die Museumsführerin, ob ich die Presse einmal benutzen darf. Zufällig habe ich Zeichenpapier dabei.
Wenig später halte ich begeistert den ersten Druck in den Händen und beschließe, sofort weitere Papiere zu bedrucken, um diese anschließend mit Buntstiftzeichnungen zu versehen. Mit Überzeugungskraft erkläre ich Dayana, dass ich mit ihr gemeinsam experimentelle Drucke anfertigen möchte. Während die bedruckten Seiten trocknen, beginne ich unter den mächtigen weißen Säulen am Eingang des Ziegenbalghauses meine erste Zeichnung. Mein Motiv ist ein stark verfallenes Kirchengebäude, das laut Aussage der Direktorin nicht betreten werden darf.
Nach einer Mittagspause suche ich erneut das Museum auf. Der leere Schulhof ist nun mit Schülern in den verschiedensten Schuluniformen gefüllt. Meine Anwesenheit bleibt nur kurz unbeobachtet, denn schnell bin ich von vielen grüßenden und mich anlächelnden Kindern umgebenen.
Im Museum stelle ich fest, dass die Druckfarbe durch die hohe Luftfeuchtigkeit noch nicht getrocknet ist. So nehme ich mir aus dem Museum einen Stuhl und stelle diesen mitten auf den Hof. Wie eine Traube umlagern mich dutzende von Schulkindern. Einen kurzen Moment versuche ich, den Ansturm zu ignorieren und mich auf meine Zeichnung zu konzentrieren. Schnell gebe ich diesen Versuch auf. Die lachenden und scherzenden Kinder fragen mich neugierig auf Tamilisch, aber ich kann sie leider nicht verstehen. Mit Zeichensprache und ein wenig Englisch fordert mich einer der älteren Jungen auf, ihn zu zeichnen. In schnellen Strichen entsteht sein Portrait.
Das vernichtende Urteil der um mich herumstehenden Kinder lässt mich wissen, dass sie mit meiner Zeichnung nicht zufrieden sind. Selbstbewusst beginnt der Junge jetzt, ein Portrait von mir anzufertigen. Um mich herum rücken die Kinder noch näher und kommentieren lautstark kichernd und schubsend die entstehende Zeichnung.
Nassgeschwitzt verlasse ich den Schulhof und suche mir eine andere Stelle zum Zeichnen. In der flirrenden Hitze, auf dem Treppenabsatz eines Hauseingang, finde ich eine schattige Stelle. Beim Zeichnen der Häuserfassade begegne ich erneut zahlreichen Schulkindern, die auf dem Weg nach Hause neugierig neben mir stehen bleiben. Ein Straßenhund legt sich in meiner Nähe dazu, um auf dem Boden ein Schläfchen zu machen.
Am Abend zeichne ich am Strand bis zum Sonnenuntergang Figuren einer hinduistischen
Tempelanlage aus dem 14. Jahrhundert. Verschleierte muslimische Frauen baden hinter mir im Meer, wo die zurückkehrenden Fischerboote laut tuckern.