Wieder auf meiner Rückreise übernachte ich in Chennai im Cholamandal Artist‘s Village — ein Künstlerdorf, das im Jahr 1966 von K.C.S. Paniker, einem indischen Künstler und Leiter der Kunsthochschule Chennai gegründet wurde
Am Morgen treffe ich mich mit Jasmin, Vinoth und Thilip in einem Bistro für Waffeln und Crêpes. Sind wir gestern noch durch abgelegene Dörfer gefahren, bestellen wir heute unser Frühstück mit Hilfe eines Tablets und senden die Bestellung zu der etwa einen Meter entfernten Küche über das Internet.
Gut gesättigt fahren wir im klimatisierten indischen SUV der Marke „Mahindra“ durch ein endloses Labyrinth aus sich kreuzenden und überschneidenden Straßen. Menschen, Farben, Schriften. Ein Rausch für meine Sinne. Wie betäubt steige ich aus dem Auto und besuche mit den anderen das Eisenbahnmuseum.
In der brütenden Mittagshitze laufen wir auf der Suche nach dem Wohnhaus des Künstlerpaares Benitha Perciyal und Prasanna Kumar durch eng verwinkelte Gassen eines Viertels der indischen Unterschicht. Schnell verliere ich die Orientierung. Dank Jasmin und Vinoth können wir auf Tamilisch einen Rikschafahrer heranwinken, der uns wenig später vor dem Wohnhaus der in Indien und international bekannten Künstler absetzt. In einem historischen Fahrstuhl fahren wir zur dritten Etage des Hauses und werden freundlich von den beiden empfangen. Ihre Wohnung scheint sich in einer anderen Welt zu befinden. Alle Einrichtungsgegenstände strömen eine große Erhabenheit und Ruhe aus. Während Benitha mit dem Essen beschäftigt ist, unterhalte ich mich lange mit ihrem Mann, der als professioneller Fotograf arbeitet. Wir verstehen uns exzellent und präsentieren uns gegenseitig unsere Arbeiten. Nach dem köstlichen Essen zeigt mir Benitha, die eine erfolgreiche Bildhauerin ist, ihre Werke. Beeindruckt von den beiden verabschieden wir uns am frühen Abend und fahren mit den Auto in den zähen Rush-Hour-Verkehr hinein.
Stunden später fahren wir im sintflutartigen Regen durch die von Werbeschildern erleuchteten Straßen. Abstrakte Reflexionen auf dem nassen Asphalt. Wieder werden meine Sinne von überbordenden Eindrücke überflutet. Nach einer endlosen Fahrt setzen mich Vinoth und Thilip vor der Abflughalle ab und wir verabschieden uns herzlich.
Bei der Ausreise zeige ich dem Beamten entspannt meinen Reisepass und das Flugticket.
Irgendetwas scheint nicht zu stimmen, denn er fordert mich auf, ihn zu begleiten. Wenige Minuten später sitze ich im Büro des Hauptgrenzbeamten. Misstrauisch notiert der Beamte meine Antworten auf seine Fragen. Plötzlich klingelt sein Telefon. Während seines langen Gesprächs suche ich in meinen Gedanken nach dem Grund für meine Befragung. Danach verlässt er sein Büro, ohne mir zusagen, wann er wiederkommt. Ist das eine Strategie? Eine Kamera im Raum zeichnet zwischenzeitlich alles auf. Bei meinem Blick auf die Uhr fällt mir auf, dass mir noch ein wenig Zeit bis zum Abflug bleibt. Aber was, wenn ich den Flug verpasse? In Gedanken gehe ich meine Handlungsoptionen durch.
Nach einer Ewigkeit erscheint der Beamte wieder im Büro. Währenddessen habe ich mich bei Jasmin Eppert gemeldet und sie über meine Situation informiert. Wieder stellt mir der Beamte die gleichen Fragen. „Haben sie hier illegal gearbeitet?“, „Wo haben sie gelebt?“, „Wer hat ihre Reise finanziert?“. Mit gelingt es, den Beamten zu überzeugen direkt mit Jasmin Eppert zu telefonieren. Danach ist das Problem geklärt! Im Anschluss erklärte mir der Mann, dass mein Aufenthalt vom Hotel in Tharangambadi polizeilich nicht gemeldet wurde.
Mit großer Erleichterung passiere ich den Sicherheits-Check, gönne mir einen „indischen Hamburger“ und steige abgekämpft in das Flugzeug nach Frankfurt ein.