Clean up India

… für alle, die bisher den kritischen Beitrag vermisst haben.

Während der ersten nächtlichen Fahrt vom Flughafen Chennai in unser superduper 5 Sterne Hotel stellten wir mit einigem Staunen fest, dass Chennai viel sauberer aussieht als wir es in Erinnerung hatten. Es war irgendwann nach 1 Uhr nachts und an allen Straßenecken war die Stadtreinigung am Werke. Als wir 2019 Indien verließen, lief eine große Campagne zum Verbot von Einwegplastik. Oh! Also entweder da hat sich mächtig was getan in der Zwischenzeit oder unser ausgesprochen komfortables Hotel liegt einfach in der Upperclass Site of the City.

Ist nun der Müll signifikant reduziert oder der Schock beim zweiten Besuch nicht mehr so frapierend? Je weiter wir herum fahren, desto heterogener wird das Bild. Der Vermüllungsfaktor bleibt auswärts eher hoch, wobei ich überhaupt kein System ausmachen kann. Mal sind die kleinen Dörfchen und Orte sauberer als die Städte, dann wieder umgekehrt. Und obwohl man doch meinen könnte, der Hinduismus hätte so eine Tier und Natur verbundene Komponente, sehen gerade die Flusslandschaften zwischen den Orten oft mächtig verschandelt aus.

In Pondi ist es sehr aufgeräumt, es fehlen sogar die Tiere. Aber es gibt immer noch diese spezielle Kreuzung mitten im Zentrum, wo sich diverse offene Abwasserkanäle treffen. Würg. In Chitradurga, was uns ja eigentlich ganz gut gefallen hat, stolpern wir direkt hinterm Gemüsemarkt in so eine Seitenstraße, die auf mehreren Metern als etablierte öffentliche Toiletten dient. Die Oberhärte in dieser Rubrik war jedoch ein Busbahnhof auf dem Weg nach Hampi. Obwohl es dort öffentliche Toiletten gab, finden es die meisten Leute praktischer, die den Bahnhofseingang flankierenden Mauern als Urinale zu verwenden. Hauptsache es wird nicht geraucht.

Aber zunehmend fallen einem die Schilder und Wandbilder der Campagne „Mission Clean India“ ins Auge. Manche werben für’s Aufräumen. Andere drohen mit durchaus empfindlichen Bußgeldern. Ich lese mich ein bisschen schlau. Inklusive Vorgängercampagne läuft das Projekt seit 2009. Der erste Teil des Programms bestand darin, Toiletten zu bauen. Die Angaben schwanken stark mit bis zu 90 Mio Toiletten in 10 Jahren. Auf einer staatlichen Seite kann man den Bau im Sekundentakt mitzählen.

Der rückwärtige Ortsteil von z. B. Palolem Beach sieht wirklich schlimm aus. Es wundert mich um so mehr, dass das Meer so sauber aussieht. Andernorts ist es genau umgedreht, die Straßen fein gefegt, aber am Strand läuft ein Langzeitexperiment: Wenn das Meer den Müll nur lange genug klein wäscht, gibt es statt ordinärem Sand vielleicht eines Tages Granulat in Regenbogenfarben? Dass das Einwegplastik wirklich verschwunden wäre, kann ich nicht feststellen. Aber das ist in Deutschland ja nicht anders. Es ist schwer einzuschätzen, wie erfolgreich die Campagne ist, da ich das Ausgangsniveau nicht kenne.

Es ist aber auch ein echtes Problem, seinen Müll loszuwerden. Da geht es uns auf Reisen nicht besser als den Ortsansässigen. Es gibt kaum Mülleimer. Am Ende helfen wir unseren Müll auch bloß den Hotels über. Ich lese etwas von „kleinteiligen Entsorgungsstrukturen“, das heißt im Wesentlichen, arme Leute sammeln den irgendwie noch verwertbaren Teil am Straßenrand auf. Manchmal sieht man Müllautos, immer verblüffend klein für die Größe des Problems, die ganz gezielt bei einer Adresse den Plunder einsacken, keinesfalls in der ganzen Straße. Flaschen und Verpackungen werden auch gerne noch einfach aus dem Busfenster gepfeffert. In irgendeiner Kleinstadt auf der Durchfahrt sehen wir an der Bushaltestelle Mülltrennung in 3 Rubriken – eine echte Sensation!

Die etabliertes Methode häuslicher Müllentsorgung ist wohl nach wie vor Verbrennen. Dabei kommt es zum absurden Zusammentreffen indischer und deutscher Weltsichten. Wie gelegentlich erwähnt, hat man in Indien ein bigottes Verhältnis zum Rauchen und jenseits der Touri-Metropolen ist Rauchen auf der Straße sehr verpönt. Wir verstecken uns dann in irgendeiner dieser ranzigen Ecke oder Seitenstraßen, ganz brav mit unserem Reiseaschenbecher natürlich. Reiseaschenbecher – „typisch deutsch“ belustigen sich die Leute in den besseren Fällen. In Hubali stehen wir etwas abseits vor unserem Hotel, ein paar Meter weiter verläuft ein ausgetrockneter Kanal, wo jedermann seinen Müll entsorgt. Dort brennt und qualmt es lichterloh. Aber das beunruhigt die Passanten wenig. Stattdessen werfen uns Vorbeieilende immer wieder Blicke zu, als würden wir hier nackt auf der Straße stehen und obszöne Dinge veranstalten. Ein älterer Herr fasst sich ein Herz und spricht uns an: Wir können doch nicht schamlos in der Öffentlichkeit rauchen! Nicht zu fassen, da stehen wir auf einer vermüllten Straße und das Ambiente stört keinen. Aber öffentlich Rauchen, das geht nun wirklich gar nicht!

…und so sieht es direkt gegenüber der Schule aus…

Mission Clean India wird wohl noch eine Generation brauchen bis die Schulkinder groß sind und vielleicht `ne Idee haben, wie es besser geht. Dabei gibt es im Alltag eigentlich tolle Vollbio-Lösungen, die ich sehr sympatisch finde. Und diese sind noch nicht mal neu. Zum Beispiel Essen im Bananenblatt verpacken, das kann man dann getrost auf der Straße entsorgen, denn es findet sich immer eine Kuh oder Ziege, die es wegmampft. Das nenne ich mal Kreislaufwirtschaft. Es wäre also gar nicht zielführend, die Viecherchen wegzusperren…

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