Es ist geradezu sträflich, dass ich es über 2 Wochen nicht geschafft habe vom Fortgang unserer ersten kleinen Rundreise zu berichten. Da es gleich um die Ecke von Pondicherry liegt, haben wir einen kleinen Abstecher nach Auroville gemacht. Wem Auroville nichts sagt, der lese sich bitte bei Mutti Google schlau. Während unser Freund Ernesto hier noch schnell innere Einkehr suchte vor seinem chaotischen Rückflug von Chennai über Bangkok nach Madrid (wir haben ihm geraten, seine Wünsche ans Universum präziser zu formulieren), haben wir uns nur die schnelle Rein-Raus-Touritour gegeben. Einmal zum Allerheiligsten und zurück in 30 Minuten.
Sicher, wir sehen hier ohnehin nur einen ganz kleinen Ausschnitt von Indien und sicher wäre es interessant gewesen sich anzusehen, wie die Aurovillianer leben und was sie sich aufgebaut haben, das haben wir jedoch ausgespart. Man muss wohl erst den allgemeinen indischen Verkehr und die stetigen Müllhaufen am Wegesrand live erlebt haben, um zu verstehen, warum mein folgender Kurzbericht über Auroville derart unspirituell ausfallen kann.
Auf dem folgenden Video sieht man einen einzigen großen Baum mit Luftwurzeln.
Obwohl die Mehrheit der Bewohner mit rund 43 % Inder sind, gefolgt von 14 % Franzosen und nur 9 % Deutschen, kommt man sich bereits auf dem wohlgeordneten Parkplatz mit Parkschein vor wie in „Klein-Deutschland“. Es gibt blaue Passierscheine, die hier und da nach dem Überqueren nahezu menschenleerer Straßen gestempelt werden. Auf den Straßen liegt Betonverbundsteinpflaster, es gibt Fußgängerüberwege mit dazugehörigen und vertraut deutsch aussehenden Straßenschildern (und dabei gar keinen Verkehr), beschilderte Radwege und !!! Mülltrennung !!! Ich werd nicht mehr !
Von hier aus geht´s schnurstraks weiter nach Mamalapuram mit unserem Lieblingsvehikel, dem Bus. Der Rikschafahrer, der uns die letzten Meter in die Innenstadt kuscht, zeigt uns mal schnell ungebeten ein mittelpreisiges Hotel mit Pool, aber Thomas besteht darauf, dass er uns etwas besseres ausgekundschaftet hat – näher am Strand, mehr im Zentrum, viel billiger. So logieren wir treffsicher in der einzigen Touristenmeile der Stadt. Ja es ist billig, allerdings taugt das Wasser noch nicht mal zum Duschen (Kratzalarm) und ich versetze das Klamottenwaschwasser das erste (und bisher einzige) Mal mit Desinfektionsmittel. Wir wollten ja Abenteuer, den ganz authentischen Spaßfaktor!
Nach dem wir die wirklich übersichtliche „City“ erlaufen haben, stelle ich natürlich fest, dass das Hotel mit Pool gleich um die Ecke liegt. (Thomas läßt an dieser Stelle ausrichten: „Das ist gar nicht wahr, nein, nein.“)
Immerhin, man kann hier tatsächlich mal in eine Bar einkehren und einfach so ein Bier trinken ohne dass man es in der Teekanne mit Kaffeebechern serviert kriegt. In „Babus Bar“ retten wir dem gleichnamigen Besitzer den Umsatz, denn wir sind die nahezu einzigen Touristen im Ort und das hat Gründe. Um den 11. Oktober treffen sich der indische Premierminister Modi und der chinesische Generalsekräter Xi Jinping hier vor Ort. Ganz Mamalapuram ist vollgestopft mit Arbeitsheeren, überall wird neuer Rollrasen gepflanzt, die Tempel (ungelogen!) mit Zahnbürsten gereinigt, in allen Tempelanlagen gepflasterte Wege angelegt, die neue Ortsstraße ist schon (fast) fertig und, wie sich später herausstellt, werden sogar die schwarz-weißen Warnstreifen auf der gesamten Autobahn von hier bis Chennai von Kolonen von indischen Arbeitern neu gestrichen und der Mittelstreifen mit Blumen bepflanzt. Hat was von sozialistischer Schaufensterdekoration, achja, ist ja alles für Xi Jinping. Die ortsansässigen Gewerbetreibenden sind, gelinde gesagt, entnervt, weil aus Sicherheitsgründen jedes kleine Vordach abgesägt wird und tagsüber wird der Strom abgestellt (umgeleitet für die Baustellen). Die kleinen Futterstände mussten schon 3 Wochen vorher einpacken und verschwinden. Selbst die Surfschulen werden bis Chennai hoch für 14 Tage dicht gemacht. 12.000 Sicherkräfte werden erwartet. Schon aufregend so ein Staatsbesuch. Dass Nachrichten immer nationalen Prioritätenfiltern unterliegen, ist mir ja nicht unbekannt. Dass aber das Gipfeltreffen der beiden bevölkerungsstärksten Länder, bei welchem es u.a. auch um Chinas Aktien in Kaschmir geht, den deutschen Nachrichten keine Meldung wert ist, wundert mich nun doch.
Trotzdem gefällt es uns in Mamalapuram, auch Mahabalipuram genannt, ganz gut und wir bleiben 2 Tage. So richtig lustig wird es am 2. Abend. Babu und wir tauschen Hitlisten aus, die indisch-laut von der Dachterrassenbar die Straße beschallen. Wir kennen ja im Prinzip nur alte Kamellen, aber Babu find´s total lustig, als nach den „White Stripes“ „Nirvana“ endgültig die Nachbarn entsetzt auf die Balkone treten lässt. Die Jugend stürmt den Laden, wir sagen dann lieber mal gute Nacht, bevor uns jemand das konterrevolutionäre Teufelswerk in die Schuhe schiebt.
Am Freitag treffen wir uns mit Jasmin kurz vor Chennai in einem sehr schönen Museum, Dakshina Chitra, in dem alte Profanbauten gesammelt werden, Originalbauwerke aus allen Teilen Indiens, die zum Abriss standen und dort wieder aufgebaut wurden. Es ist wie überall. Die traditionellen Bauweisen, mal schlicht, mal opulenter sehen nicht nur schön aus, sondern haben allesamt ein ausgetüfteltes Klimatisierungsprinzip und zum Teil ziemlich raffinierte Mehrzweckmöbel. Und trotzdem baut man allerorten mit Beton… Im Museum sehen wir uns mit vielen Kindern klassisches, indisches Puppentheater an, das mit den hinterleuchteten Figuren aus Pergament. Die Figuren heißen hier Krishna, Shiva und Maharadscha, aber die Story ist so ähnlich wie bei Kasperle, Polizist und Krokodil: Irgendjemand wird vermöbelt. Am späteren Nachmittag wohnen wir noch einer Ausstellungseröffnung bei. Dann geht´s weiter in die Künstlerkolonie Cholamandal.
Mitte der 1960-er Jahre, also etwa zeitgleich mit Auroville, hat der charismatische Künstler und Lehrer K.C.S. Paniker mit einer Handvoll Schülern ein Grundstück gekauft, im Prinzip ein Stück Sand am Meer, weit abseits der Großstadt um eine Art Künstlerkommune aufzubauen. Hier treffen wir 3 Generationen von Künstlern. Die Urgesteine erzählen uns, wie sie mit Anfang 20 hier im tatsächlichen Nichts angefangen haben mit Strohhütten im Nirgendwo. Heute ist die Kolonie eine Oase umzingelt von der sich ausbreiten Großstadt. Aus den Strohhütten sind propere Anwesen geworden auf denen jeder sein Haus so gebaut hat, wie es ihm beliebt. Es gibt eine mittelgroße Ausstellungshalle, eine kleine Galerie, Gästezimmer und Gästestudios.
Nachdem Stefan angekommen ist, stellen wir an einem Abend unsere Arbeit vor und es gibt Gespräche mit Interessierten, Künstlern, Kunstliebhabern, Studenten. Die älteren Künstler erzählen, dass es früher sehr enge Beziehungen nach Deutschland gab und man sich freuen würde, die wieder zu reaktivieren.
Ein echtes Kuriosum ist unser Besuch in der ältesten professionellen Galerie in Chennai. Der Uberfahrer schüttet uns irgendwo im Slam aus und ich denke, nee, hier sind wir bestimmt total falsch. Aber hinter einer Blechtür öffnen sich 3 Etagen in Marmor und Weltkunst.
Chennai ist ansonsten unspektakulär und stressig. Wir üben mit Jasmin über die Straße gehen. Halloballo, völlig irre sollte man nicht sein, aber auch nicht zu zaghaft, sonst wartet man bis zum Sanktnimmerleinstag auf die passende Lücke. Wenn man erstmal auf der Straße steht (Fußgängerampeln oder Überwege Fehlanzeige), halten die Leute auch an oder weichen aus. In Indien wird man bestimmt nicht mit Absicht überfahren – höchstens aus Versehen.
Als wir nach 10 Tagen wieder in Tharangambadi einreiten, kommt mir der kleine Ort sehr aufgeräumt und sauber vor. Und soooooo entspannnnt!
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PS für den Käpt’n: Ich habe sie gefunden, links unter dem großen Stoßzahn, tanzen die Mäuse um die Jogikatze!