Tagebucheintrag, Samstag 26.10.2019

Geschützt, unter meinem roten Regenschirm, suche ich nach einem trocknen Platz zum Zeichnen. In der Goldsmith Street ist ein solcher Platz nicht zu finden. An einer Uferstraße laufe ich am tosenden Meer entlang. Dabei entdecke ich den kleinen Arulmigu Angalamman-Tempel. Durch das Gitter kann ich auf die bunt bemalten, lebensgroßen Götterfiguren sehen.
Am Meer setze ich meinen Weg fort und blicke erstaunt auf zahlreiche Ruinen von tamilischen Fischerhäusern, die nach dem Tsunami im Jahre 2004 bis auf die Grundmauern zerstört wurden. Ein trauriger, aber zugleich ein inspirierender Ort. Sofort habe ich die Idee, diese Gebäudereste mit Fragmenten meiner aktuellen Gebäudezeichnungen zu bemalen.
Unter riesigen Kokospalmen finde ich einen verlassenen Friedhof. Noch immer auf der Suche nach einem Ort, an dem ich im Trockenen zeichnen kann, laufe ich weiter an Ruinen von ehemaligen Fischerhäusern und an provisorisch aufgebauten Gebäuden vorbei.

Auf der Queens Street entdecke ich die überdachte Terrasse eines Rohbaus mit einem perfekten Ausblick auf ein Eckhaus. Hier kann ich bleiben! Während ich die ersten Striche auf das Papier setze, lärmt von einem brachliegenden, zugewucherten Grundstück eine Kettensäge.
Inzwischen regt sich im Rohbau etwas Leben. Ein kleines Mädchen kommt zu mir, begrüßt mich freundlich und schaut mir zu. Hinter uns beobachten die Oma und ihre Mutter.
Laut rufend läuft die alte Fischverkäuferin trotz des Regens wieder mit einer großen Aluminiumschüssel auf dem Kopf vorbei. Plötzlich erscheint erneut das kleine Mädchen und zeigt mir lächelnd ein zerfleddertes Schulheft und Filzstifte. Mit ihrem roten Kleid mit weißen Punkten setzt sie sich auf die staubigen Treppenstufen in meine Nähe. Absichtlich hält sie ihr Schulheft so, dass ich nicht sehen kann, was sie zeichnet. Über einen langen Zeitraum zeichnet das Mädchen konzentriert.
Ein Motorrad hält plötzlich vor mir, und ein Fischer steigt mit schmutzverkrusteten aufgedunsenen Händen und Füßen ab. Es scheint, als käme er direkt von seinem Fischerboot. Neugierig sieht er mir kurz über die Schulter und begrüßt mich dann mit einem kräftigen Handschlag. Er öffnet vor mir einen Beutel und ich sehe auf dutzende kleine silberne Fische.

Ein verfallenes Gebäude, das ebenfalls durch den Tsunami zerstört wurde, ist am Nachmittag das Motiv für meine nächste Zeichnung. Von Passanten erfahre ich, dass es einst als Einrichtung für die Ausbildung von Lehrern diente. An die Mauer der Zionskirche gelehnt,
sitze ich direkt auf der Queens Street. Diese Kirche wurde für die dänische Bevölkerung als die erste protestantische Kirche in Indien im Jahre 1701 erbaut.
Auf das rege Treiben aufmerksam geworden, erfahre ich, dass in diesen Tagen das hinduistische Lichterfest „Diwali“ gefeiert wird. Dabei handelt es sich um ein mehrtägiges Fest.Während des Zeichnens lerne ich viele Studenten, Schüler und Arbeiter kennen, die anlässlich der Feiertage ihre Familien in Tharangambadi besuchen. Ich komme durch die vielen Gespräche minutenlang nicht zum Zeichnen. Wieder entstehen zahlreiche Selfies. Einige der Besucher schenken mir zum Abschied Knabbergebäck und Süßigkeiten.

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