Endlich wieder Sonnenschein! Bei „milden“ 30 Grad im Schatten laufe ich auf der Queens Street entlang. Wie in einem Märchenfilm schwirren hunderte von Libellen um mich herum. Spontan biege ich in die Naghuda Street ab und entdecke ein fliederfarbenes Haus, das mich auf den ersten Blick durch seine Bemalung an einen Kindergarten erinnert. Durch die Regenzeit hat sich die Anzahl der Moskitos vervielfacht. Die Konzentration auf meine Zeichnung fällt mir schwer. Ständig sehe ich die Blutsauger im Augenwinkel, die mich sogar durch die Bekleidung hindurch stechen. Direkt in der Sonne verschwinden die Moskitos, aber dafür bekomme ich schnell einen Sonnenbrand. Auf ihren täglichen Routen sind auch heute die Straßenhändler unterwegs: die Fischverkäuferin, der Milchmann, der Elektroschrottsammler und ein Maniokverkäufer. Ebenso lerne ich wieder neue Passanten kennen. Die häufigsten Fragen sind: „Was machst du? Warum? Woher kommst du? Wie ist dein Name? Wie alt bist du? Bist du verheiratet?“.
Bei flirrender Mittagshitze laufe ich die Queens Street bis zum Buckinghan-Kanal entlang. Dieser ist an beiden Uferbereichen fast vollständig mit einem Müllteppich bedeckt. Weiter geht es auf der Queens Street. Ich entdecke ausgenommene Fische, die zum Trocknen auf dem Asphalt ausgelegt sind. Wahrscheinlich eine günstige Methode, den Fisch ohne Eis haltbar zu machen.
Vor dem Wohnhaus von Ganesan sitze ich entspannt im Schatten zweier Bäume und beginne mit der Zeichnung seines Hauses. Rasch bemerkt er meine Anwesenheit und stattet mir einen Besuch ab. Freundlich bietet er mir einen Tisch als Unterlage, Essen und Trinken an. Mit gefalteten Händen und einer angedeuteten Verbeugung bedanke ich mich bei ihm.
Die Farbgebung des Hauses von Ganesan könnte der Phantasie eines Kindes entstammen. Hauptsächlich besteht es aus den Farben pink, rosa, hellblau und dunkelblau. Davon inspiriert, erledigt sich meine Zeichnung praktisch wie von allein. Etwa zwei Stunden später kommt Ganesans erneutes Angebot eines Kaffees wie gerufen. Das heiße und zuckersüße Getränk genieße ich in vollen Zügen.
Auf dem Nachhauseweg fährt langsam ein Kleintransporter an mir vorbei. Ein junger Mann auf der Ladefläche wiederholt mit heiserer Stimme mantraartig sein Sonderangebot an frischen Äpfeln und Orangen.
Am Abend donnert und blitzt es am Himmel gewaltig. Um schnell zur Marktstraße zu gelangen, setzt sich Vinoth auf den Gepäckträger meines Fahrrades. Durch das doppelte Gewicht schwankend, fahren wir durch die unbeleuchteten Straßen. Im „Danish Shop“ angekommen, teilt uns die Angestellte mit, dass Sultan gerade beim Abendgebet sei. Freundlich bekommen wir zwei Hocker
angeboten und nehmen im Innenraum des Ladens dichtgedrängt zwischen Kisten, Stiften,
Papier, Süßigkeiten und anderen Verkaufsartikeln Platz.
Bald erscheint Sultan und langsam kommen wir ins Plaudern. Während es laut am Himmel donnert, unterhalten wir uns über seine Arbeit als Historiker und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionen. Als Herausgeber und Autor der Stadtchronik von Tharangambadi ist er zur Zeit damit beschäftigt, die sechste Auflage vorzubereiten. Während unseres Gesprächs gibt er zu verstehen, dass er sich auf Fragen zum Zusammenleben und zu möglichen Konflikten zwischen den Religionen nicht äußern werde.
Kurze Zeit später fahren wir in Windeseile mit dem Fahrrad unter dem Getöse heftiger Windböen und Blitzen zurück.