Tagebucheintrag, Sonntag 06.10.2019

Am nächsten Tag wache ich früh auf. Trotz des fest auf mein Ohr gepressten Kopfkissens, höre ich laute tamilische Lieder, die aus Megaphonen schallen. Widerstand ist zwecklos! Eine Stunde später steigt die Lautstärke noch einmal an.
Ich stelle fest, dass der Gesang aus der Neu Jerusalemskirche herüberschallt. Der Gottesdienst wird live aus der Kirche übertragen. Mit einem aus dem Ziegenbalghaus geliehenen Plastikstuhl laufe ich zu einem auf der Kings Street abstellten Bus. Im Schatten sitzend und dem Gottesdienst über die Lautsprecher folgend, zeichne ich den Bus. So, wie auch an den anderen Tagen, erregt meine Anwesenheit ein großes öffentliches Interesse. Es entwickelt sich erneut ein kurzer Dialog mit den Passanten.
Die nächste Zeichnung beginne ich in der Nähe zu der einst von Bartholomäus
Ziegenbalg gegründeten Neu Jerusalemskirche. Während ich mich auf mein Motiv konzentriere, lerne ich einen älteren Mann kennen, der mich spontan zur Taufe seiner Tochter einlädt.
Während der ganzen Zeit in Reichweite eines Lautsprechers sitzend, brauchen meine Ohren jetzt Ruhe. Am historischen Stadttor finde ich vor dem Haupteingang des Harijan-Girls-
Hostel einen guten Platz im Schatten. Das Gebäude wirkt auf den ersten Blick wie eine Ruine.
Nach kurzer Zeit bemerke ich, mir aus den Fenstern zuwinkende Mädchen. Immer wieder rufen
sie „Hello“ und kichern dann einander zu. Neben mir sitzt ein korpulenter Mann mit einem
Achselshirt und verwickelt mich in ein Gespräch. Ununterbrochen kaut er Betelnüsse, die seine Zähne und das Zahnfleisch purpurrot färben.
Nach mehrmals lautem Muhen von drei wartenden Kühen, öffnet sich das graue Eingangstor vor dem Waisenhaus und es erscheint eine ältere Frau mit einem großen Plastikgefäß. Während ich die fressenden Kühe zeichne, beantworte ich die neugierigen Fragen der
Passanten.

Am Nachmittag setze ich mein Studium der „Halleschen Berichte“ fort. Wie auch bei Bartholomäus Ziegenbalg verändert sich meine Sichtweise auf die tamilische Kultur. Er selbst begann, sich die tamilische Sprache anzueignen, um ein tieferes Verständnis für die Menschen zu erlangen. Hieraus ziehe ich für mich den Schluss, nicht das eigene Weltbild zum Richtmaß der Dinge zu machen, sondern die Perspektive der Menschen, die hier leben, durch Gespräche sichtbar zu machen und mit meinen eigenen Wahrnehmungen zu spiegeln.

Der Abend endet so, wie er am Morgen begonnen hat. Neben lauten Böllerexplosionen höre ich läutende Glocken und Trompetenmusik. Auf Nachfrage erfahre ich, dass es sich um das Ende des hinduistischen Feiertags Navaratri, der einer Gottheit gewidmet ist, handelt,

Tagebucheintrag, Samstag 05.10.2019

J

Mit Jasmin Eppert mache ich einen Ausflug in die Stadt Thirukkadaiyur, um dort den bedeutenden Sri Amirthagateswarar Abhirami Tempel zu besuchen.
Bevor wir das Stadttor von Tharangambadi erreichen, laufen wir an der Zionskirche und an der Neu Jerusalemskirche vorbei. Ohne uns Aufmerksamkeit zu schenken, begegnen uns unterwegs Ziegen, Kühe und Hunde.
Am Ortsausgang von Tharangambadi befindet sich die geschäftige Marktstraße. Hier bieten die verschiedensten Händler, wie auf einer Perlenkette aufgereiht, ihre Waren und Dienstleistungen an. Das bunte Treiben wird durch das laute Hupen der Fahrzeuge, die sich über die mit Schlaglöchern durchfurchte Straße winden, begleitet. In Windeseile organisiert Jasmin eine preisgünstige Rikscha. Mit dem dreirädrigen Gefährt fahren wir im rasenden Tempo in
weniger als zehn Minuten nach Thirukkadaiyur.
Jasmin erklärt mir während der Fahrt, dass der Sri Amirthagateswarar Abhirami
Tempel eine besondere Bedeutung hat. Basierend auf einer Legende wird angenommen, dass ein Besuch im Tempel verheirateten Paaren oder ein Besuch zum sechzigsten, siebzigsten oder zum achtzigsten Geburtstag des Mannes eine lange Lebenszeit beschert. So finden sich täglich dutzende von Familien ein, um diesen besonderen Hochzeitstag mit einem hinduistischen Gottesdienst zu zelebrieren.

Barfuß durchlaufe ich das mit bunt bemalten Götterfiguren geschmückte Haupteingangstor des Tempels und betrachte die am Wegesrand sitzenden Händler, welche Opfergaben „to go“ sowie buntes Plastikspielzeug anbieten. Dazwischen sitzen Bettlerinnen, die mit leeren Aluminiumschüsseln in der ausgestreckten Hand um Almosen bitten.
Ich laufe erneut durch ein noch größeres Tor und betrete einen neuen Bereich des Tempels, der aus langen Säulengängen besteht. Überwältigt von der Farbigkeit der Ornamente und der Architektur, in Kombination mit der Lautstärke vieler Trommeln und Blasinstrumente
verspüre ich großes Interesse, hier zu zeichnen. Einer Familienprozession folgend, gehe ich durch ein drittes Tor und betrete mit ihnen einen großen Innenhof. Im prächtigen Gewand
stehen hier nebeneinander ein großer Elefant und eine Kuh. Die Familienprozession wirft den beiden Tieren zahlreiche Opfergaben zu.
Jetzt betrete ich eine große Halle mit einem monumentalen Säulengang in der Mitte.
An beiden Wandseiten entdecke ich viele kleine bunte Schreine mit Feuerstellen. In unterschiedlicher Anzahl sitzen Großfamilien davor. Priester leiten die Zeremonie, welche von ringsum stehenden Musikern, Fotografen und Kameramännern begleitet wird. Intensiv riecht es nach verbranntem Holz, Weihrauch und anderen Harzen. Alle meine Sinne werden gleichzeitig überflutet. Ich setze mich spontan auf den Boden und beginne, bunte Fragmente der umgebenden Schreine abzuzeichnen. Wie in Trance tauche ich, Fragment für Fragment, in diese Atmosphäre ein. Zeitweise stehen Personen, die mich beobachten und befragen, neben mir. Als ich die fertige Zeichnung präsentiere, wird sie mir aus der Hand gerissen und staunend in der Gruppe herumgereicht. Zerknittert erhalte ich sie zurück.
Auf der Rückfahrt beschließe ich, den Tempel erneut zu besuchen und mehrere großformatige Zeichnungen anzufertigen.

Tagebucheintrag, Freitag 04.10.2019

Ich beziehe für die nächsten Wochen ein kleines Zimmer mit Dusche in der Nähe des Museums.Früh am Morgen laufe ich bei tropischer Hitze zum Ziegenbalghaus. Durch ein großes Steinportal betrete ich den Hof der einst von Bartholomäus Ziegenbalg gegründeten Waisenhausschule, die einst für Mädchen und Jungen, heute ausschließlich als Jungsschule operiert. Auf dem sandigen Schulhof ist kein Schüler zu sehen.
Im Ziegenbalghaus entdecke ich bei einem Rundgang eine historische Hochdruckpresse, ähnlich wie sie zur Zeit von Bartholomäus Ziegenbalg für den Druck der von ihm ins Tamilische übersetzten Bibel genutzt wurde. Daneben befindet sich ein mannshoher Schrank, gefüllt mit tamilischen Holzlettern. Spontan frage ich Dayana, die Museumsführerin, ob ich die Presse einmal benutzen darf. Zufällig habe ich Zeichenpapier dabei.
Wenig später halte ich begeistert den ersten Druck in den Händen und beschließe, sofort weitere Papiere zu bedrucken, um diese anschließend mit Buntstiftzeichnungen zu versehen. Mit Überzeugungskraft erkläre ich Dayana, dass ich mit ihr gemeinsam experimentelle Drucke anfertigen möchte. Während die bedruckten Seiten trocknen, beginne ich unter den mächtigen weißen Säulen am Eingang des Ziegenbalghauses meine erste Zeichnung. Mein Motiv ist ein stark verfallenes Kirchengebäude, das laut Aussage der Direktorin nicht betreten werden darf.

Nach einer Mittagspause suche ich erneut das Museum auf. Der leere Schulhof ist nun mit Schülern in den verschiedensten Schuluniformen gefüllt. Meine Anwesenheit bleibt nur kurz unbeobachtet, denn schnell bin ich von vielen grüßenden und mich anlächelnden Kindern umgebenen.
Im Museum stelle ich fest, dass die Druckfarbe durch die hohe Luftfeuchtigkeit noch nicht getrocknet ist. So nehme ich mir aus dem Museum einen Stuhl und stelle diesen mitten auf den Hof. Wie eine Traube umlagern mich dutzende von Schulkindern. Einen kurzen Moment versuche ich, den Ansturm zu ignorieren und mich auf meine Zeichnung zu konzentrieren. Schnell gebe ich diesen Versuch auf. Die lachenden und scherzenden Kinder fragen mich neugierig auf Tamilisch, aber ich kann sie leider nicht verstehen. Mit Zeichensprache und ein wenig Englisch fordert mich einer der älteren Jungen auf, ihn zu zeichnen. In schnellen Strichen entsteht sein Portrait.
Das vernichtende Urteil der um mich herumstehenden Kinder lässt mich wissen, dass sie mit meiner Zeichnung nicht zufrieden sind. Selbstbewusst beginnt der Junge jetzt, ein Portrait von mir anzufertigen. Um mich herum rücken die Kinder noch näher und kommentieren lautstark kichernd und schubsend die entstehende Zeichnung.

Nassgeschwitzt verlasse ich den Schulhof und suche mir eine andere Stelle zum Zeichnen. In der flirrenden Hitze, auf dem Treppenabsatz eines Hauseingang, finde ich eine schattige Stelle. Beim Zeichnen der Häuserfassade begegne ich erneut zahlreichen Schulkindern, die auf dem Weg nach Hause neugierig neben mir stehen bleiben. Ein Straßenhund legt sich in meiner Nähe dazu, um auf dem Boden ein Schläfchen zu machen.

Am Abend zeichne ich am Strand bis zum Sonnenuntergang Figuren einer hinduistischen
Tempelanlage aus dem 14. Jahrhundert. Verschleierte muslimische Frauen baden hinter mir im Meer, wo die zurückkehrenden Fischerboote laut tuckern.

Tagebucheintrag, Donnerstag 03.10.2019

Am nächsten Morgen erwache ich in Chennai erschöpft aus einem traumlosen Schlaf. Bevor die Fahrt in das 270 Kilometer entfernte Tharangambadi beginnt, bleibt mir nicht viel Zeit. Rasch schiebe ich mir ein paar Datteln und Zwieback in den Mund. Schon ruft Jasmin Eppert: „Komm Stefan, der Fahrer ist da!“
Ein weißer Geländewagen, inklusive korpulentem Fahrer wartet bereits auf uns.
An der Stoßstange baumeln links und rechts schwarze Haarzöpfe. Auf meine Nachfrage erfahre ich, dass diese einst von Frauen geopfert und vom Fahrer in einem Hindutempel gekauft wurden. Sie sollen Fahrer und Auto Glück bringen. Angesichts des mir chaotisch erscheinenden Straßenverkehrs, hoffe ich auf deren Wirkung.
Unter ständigem Hupen verlassen wir Chennai in wilder Fahrt. Die waghalsigen Überholmanöver, teilweise auch in dritter Reihe, und die zahlreichen Eindrücke von Gebäuden, Menschen und Tieren rechts und links der Straße fordern meine ganze Aufmerksamkeit.
Eine Erschütterung und ein dumpfer Knall bremsen plötzlich die schnelle Fahrt unseres Autos. Der Fahrer teilt uns beiläufig mit, dass unser Auto gerade mit einen Hund kollidiert ist. Was für ein Glück, dass wenigstens uns nichts passiert ist und dass der Fahrer die Kontrolle über das Auto behalten hat.
Während einer Kaffeepause am Straßenrand erholen wir uns von dem Schreck. Ich beobachte, wie ein Tee-und Kaffeeverkäufer aus großer Höhe Milch in ein Glas mit Kaffeesud schüttet. Mit Zucker wiederholt er diese Prozedur mehrfach, bis sich eine schaumige Krone bildet.
In den nächsten beiden Stunden fahren wir an kleinen wie auf einer Perlenschnur aufgereihten Dörfern vorbei und erreichen Auroville. Auroville ist das spirituelle Zentrum von Menschen aus der ganzen Welt, die hier in einem Gemeinwesen zusammenleben. Beim europäischen Bäcker kaufen wir Schwarzbrot und in einem Supermarkt weitere Lebensmittel. Beide Läden gehören zum internationalen Dorf Aurovilles.
Im „eiskalt“ heruntergekühlten Auto fahren wir weiter durch den quirligen Verkehr in Richtung Puducherry, einer ehemaligen französischen Enklave. Der nächste Halt ist eine Papiermanufaktur. Nach deren Besuch erfrischen wir uns in der Hitze mit dem Wasser einer Kokosnuss, die wir bei einem Straßenhändler kaufen.
Danach beginnt der zweite Abschnitt unserer Reise nach Tharangambadi. Wieder kämpft sich unser tapferer Fahrer…laut hupend…Kilometer für Kilometer über die immer schmaler werdenden Landstraßen nach Süden durch.
„Bald kommt die Grenze!“, mahnt er uns. Wir verstecken unseren in Puducherry gekauften Alkohol. Den Polizei-Checkpoint des Stadtstaats Puducherry hinein zum Bundesstaat Tamil Nadu passieren wir ohne Kontrolle.
Aus dem Fenster sehe ich Reisfelder, Bananenplantagen und in immer größeren Abständen kleine Dörfer. Auf scheinbar verschlungenen Wegen erreichen wir am frühen Abend Tharangambadi. Wir fahren durch das historische Stadttor, das von den Resten der ehemaligen Stadtmauer umgeben ist.
Während die Sonne untergeht, erreichen wir direkt vor dem goldenen Denkmal von Bartholomäus Ziegenbalg unser Ziel, den Bungalow, der ehemaligen schwedische-lutherische Mission »Church of Sweden Mission«.

Tagebucheintrag, Dienstag 01.10.2019

Nachtflugverbot! Überrascht und ungeplant verbringe ich die Nacht mit meinen Koffern im Wartebereich des Flughafens Frankfurt. Meine Arme, durch die Haltegriffe meiner Taschen und
Koffer verschränkt, lege ich auf den großen Koffer und darauf mein Kopf, um ein wenig zu entspannen. Reisepass und Brieftasche stecken „sicher“ in meiner Unterhose. Trotz dieser ziemlich unbequemen Haltung schaffe ich es, zu schlafen.
Als ich erwache, stelle ich erschrocken fest, dass es schon kurz vor vier Uhr am Morgen ist. Mit halb geöffneten Augen sehe ich mich um und versuche mein Glück, einen geöffneten Schalter zu finden, an dem ich meine Koffer aufgeben kann.
Im Sicherheitsbereich finde ich eine ruhige Ecke, in der ich noch einmal zwei Stunden schlafen kann. Auf dem Weg dorthin beobachte ich zahlreiche Reisende, die in den „kreativsten“ Positionen, in Ecken, auf Bänken und sogar auf dem Boden die Nacht verbringen.
Am Abfluggate treffe ich bereits auf wartende Fluggäste aus Indien. Schließlich steige ich aufgeregt und übermüdet in das Flugzeug ein. Vor fast 300 Jahren war Bartholomäus Ziegenbalg mehrere Monate mit dem Schiff nach Indien unterwegs. Im Gegensatz zu ihm werde ich in nur acht Stunden in Indien sein. Mir verkürzen kühle Drinks und ein warmes Essen die Flugzeit.
Mitternacht auf dem Flughafen in Chennai. Chennai, vormals Madras, liegt an der Ostküste Südindiens am Golf von Bengalen. Ich laufe einen mir endlosen Gang entlang und suche die Imigrationsbehörde. Im Vorbeigehen erblicke ich zahlreiche kleine Schreine für die unterschiedlichen hinduistischen Gottheiten.
„Sie möchten hier in Indien arbeiten!“, ist die Feststellung des indischen Grenzbeamten, als ich meine Dokumente sowie den Grund für meinen Aufenthalt erläutere. Streng fordert er mich auf, ihn zu begleiten. Kurz angebunden teilt mir der kleine, dicke Mann mit, dass ich erst einmal warten muss, bis alle anderen Passagiere abgefertigt sind. Angespannt überdenke ich meine Lage. Unglücklicherweise besitze ich weder eine Adresse von meiner Unterkunft in Tharangambadi noch einen Kontakt zum Ziegenbalghaus.
Nach endlosem Warten winkt mich der gleiche Beamte mit riesigem Schnauzbart wieder heran. „Sorry, I´m so sorry!“, erkläre ich ihm, um Verständnis bittend, wiederholt meine Lage. „Es gibt keine Ausnahme! Sie benötigen eine Telefonnummer und eine Adresse von einer Kontaktperson in Indien, sonst erhalten Sie kein Visum!“
In letzter Not schalte ich das Roaming auf meinem Smartphone ein und rufe Jasmin Eppert, die Direktorin vom Ziegenbalghaus, an. Glücklicherweise erreiche ich sie und kann nun die geforderten Angaben übermitteln.
„Machen sie Graffiti?“, skeptisch fragt mich der Beamte erneut. Genervt präsentiere
ich einen Katalog mit Zeichnungen, die ich auf Kuba angefertigt habe. Erstaunt durchblättert der Mann die Publikation und rät mir, Workshops mit Kindern in Indien durchzuführen.
Das verstehe ich nicht! Gerade wurde mir noch vorgeworfen, illegal in Indien zu arbeiten!
Nach weiteren Befragungen erhalte ich die Einreisegenehmigung und verlasse den Schalter, aber nicht, ohne meine Fingerabdrücke und mein Passfoto zu hinterlassen.
Obwohl der Alarm vom Metalldetektor ertönt, lassen mich die „schlummernden“ Beamten durch den Sicherheitscheck gehen.
Die Glastür am Ausgang öffnet sich und mich empfängt eine unbeschreibliche Atmosphäre: ein intensiver Cocktail aus Luftfeuchtigkeit, hupenden Fahrzeugen, Abgasen und ein Gewirr von Menschenstimmen. Zum Glück erblicke ich Jasmin Eppert, und meine Anspannung löst sich auf. Wenig später fahren wir in einem klimatisierten Taxi durch den tosenden Verkehr.

Tempel und Krempel

Unsere dritte Rundreise führte uns von Tiruvannamalai über Vellore nach Kanchipuram.

Blick von unserer Hotelterrasse

Tiruvannamalai – ich schwöre, die Einheimischen bringen hier noch mehr „L“ und “ M“ unter beim Sprechen. Sehr schön ist die Felsgebirgslandschaft auf dem Weg dahin. Hier kann man sehen, welche Erosion Sonne und Regen herbeiführen.

Mobiler Mönch
Modell der Tempelanlage
Blick vor unserem Hotel

Vellore. Das Wetter kommt uns mit 25 Grad eigentlich entgegen. Das alte Fort hat faszinierende Mauern. Im goldenen Tempel ist fotografieren jedoch untersagt.

Aber die Stadt als solche ist ein einziger Schlamm. Hatte da nicht jemand im Vorfeld gesagt, Vellore ist ein trostloses D*****Nest, dass wir auslassen können? Na, vielleicht erinnere ich mich auch falsch. Hier bekommen wir allerdings das beste Essen in den ganzen 6 Wochen. Hammer! Obwohl wir ein super Hotel haben, gibt es wieder diese Spezialecken (im Hotel), wo man mit Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Methoden versucht, das Müllproblem zu beseitigen.

Dem Thema Müll widme ich noch einen gesonderten Erfahrungsbericht.

Kanchipuram – Stadt der Tempel. Über Verkehr schreibe ich jetzt nix mehr….

Hier stehen nach Mahabalipuram die ältesten Tempel. Tempel. Tempel. Tempel. Tempel. T…..

Über Thanjavur nach Trichy

Mit dem Verhandeln haben wir den Bogen noch nicht so raus. In Tranquebar wurden die Dinge von Tag zu Tag billiger auch ungefragt. Das wir mal wieder mehr als nötig bezahlt haben, merken wir spätestens dann, wenn wir etwas dazubekommen. Die Obstverkäuferin steckt uns meist extra noch ’nen Apfel in den Beutel.

Auf dem Weg nach Thanjavur gab es mit dem Bus nach Mayiladuthurai (diese Ortsnamen!) Probleme und wir mussten auf eine Rikscha zurückgreifen bis zum dortigen Busbahnhof. Der Fahrer schlug 600 Rupien vor, die wir anstandslos akzeptierten. Daraufhin gab es eine für uns undurchsichtige Diskussion zwischen 7 oder 8 Rikschafahrern. In deren Ergebnis fuhr uns jemand anderes – warum auch immer. Diesmal haben wir zu dem Fahrpreis noch eine ältere Dame dazubekommen.

In Mayiladuthurai sind wir dummerweise in den Bummelbus gestiegen und waren für 90 Kilometer am Ende 5 Stunden unterwegs. Die Tempelanlagen in Thanjavur entschädigen für alles.

Die Religionsausübung ist übrigens sehr spannend und hat streckenweise etwas sehr archaisches mit Blumenkränzen, Öllämpchen, Brandopfern und Opfergaben. Wir sind trotz oder gerade wegen unserem Atheismus immer ein bisschen sensibel und rennen nicht zu jedem Heiligtum an die vorderste Front. Es kommt uns eben auch recht privat vor.

Was mir jedoch etwas schleierhaft bleibt ist die innere Nutzung der riesigen Aufbauten. In eine Anlage, wo wir quasi einen ganzen Palast vermuten, trotteln wir den anderen Besuchern einfach hinterher. Schnell verengt sich der Gang, ok, es gibt jetzt auch kein Zurück mehr. Bald wird klar, wir landen gleich vor irgendeinem Altar. Was machen die Natives? Aha, sie zücken Geld – wir also auch. Vorne angelangt darf man sich einen Punkt auf die Stirn machen und kriegt ’ne Tüte heilige Asche. Alles klar! Aber was machen die in den ganzen Etagen darüber???

Mir fällt hier übrigens auf, daß die Formensprache teilweise ans Asiatisch-Chinesische erinnert. Es soll kulturgeschichtlich jedoch andersherum sein: Die Inder ham’s erfunden und die Chinesen ham’s kopiert. Ich lasse diese Info mal so stehen.

Gegen den Verkehr hier war Chennai regelrecht entspannend. Wir residieren allerdings auch am alten Busbahnhof und hier muss irgendwie jeder lang. Tagsüber geht’s ja noch, aber morgens und abends stapeln sich die Leute. Auf der Kreuzung regelt neben der Ampel noch ein Polizist den Verkehr. Man kann nur hoffen, der Mann kriegt Gefahrenzulage.

Wir sind morgens jedenfalls nicht dazu in der Lage uns im Gedränge in den richtigen Bus vorzukämpfen und fahren per Tuck-Tuck erstmal zum neuen Busbahnhof und von dort aus weiter nach Tiruchirappalli, liebevoll kurz Trichy genannt. Hier begreifen wir dann auch endlich, daß es sogenannte 1 to 1 Busse gibt, die direkt durchfahren.

In Trichy besuchen wir als erstes die (zu mindest angeblich) größte Tempelanlage ganz Indiens, vielleicht auch nur Tamil Nadus. Aber in der Tat, die Anlage ist riesig. Es gibt 7 Tore und Mauern und dreieinhalb Ringanlagen. Es lohnt sich die Sri Ranganatha Tempelanlage bei Google Earth von oben zu betrachten.

Außerdem hat man offensichtlich ein entspanntes Verhältnis zum Kommerz, alles gepflastert mit Händlern.

Wir leisten uns hier auch einen Führer um ein bisschen Details zu erfahren. Teile des Tempels sind aus dem 14. bzw. 16. Jahrhundert. Das gigantomanische ersteTor wurde jedoch in den 1980-ern fertig gestellt. Hey Leute, ich wechsel das Land, hier wird man als Künstler noch gebraucht!

Seltsame Anekdoten gibt es auch wieder. Aus heiterem Himmel schmeißt sich uns ein Paar um die 30 vor die Füße. Ich denke “ Selfie ist ja ok, aber das geht jetzt echt zu weit“. Unser Führer klärt uns auf. Kinderlose Paare absolvieren hier einen Parkurs und bitten alle Paare, die älter sind auf die Weise um Kindersegen. Ok, wenn das so ist, lassen wir uns schnell einführen in das ganze Ritual. (Aber so ganz die Richtigen sind wir nicht für das Thema.)

Nach dem Mittagessen wollen wir dann noch da hoch:

Nur irgendwas um die 300 Stufen. Unser Rikshafahrer erweist sich als extrem sportiv und turnt vor… Dabei ist das nur ein dünnes Männel.

In Trichy gibt es tatsächlich auch an verschiedenen Stellen in den Tempeln Schilder: „Hindus only“. Unser Fahrer ist sehr um unser Seelenheil bemüht und zeigt uns, was wir wie und wo im Kreis umrunden müssen und er schleppt uns dann vor den Priester, der uns nach kurzer Diskussion mit dem Männl ordnungsgemäß segnet, Hindu hin oder her.

Auf dem Weg durch Trichy mit dem Bus finde ich raus, dass der Busfahrer 2 Huptöne hat, die er unterschiedlich bespielt. Das ist also kein wahlloses Georgel, sondern Hupcode.

Thomas findet den Verkehr noch schlimmer als in Thanjavur, aber für meine Wahrnehmungsschwelle scheint das Maximum schon erreicht. Ich kann da keine Steigerung mehr feststellen. Auf dem Rückweg irren wir in Mayiladuthurai etwas ratlos von Busbahnhof 1 zu Busbahnhof 2. Bei dieser Gelegenheit ergibt sich noch folgendes schöne Bild.

Der Elektroingenieur

In dieser Rubrik gibt’s gleich noch eine Zugabe unter der Überschrift:

Dem Ingenör ist nix zu schwör

Für alle, die nicht gleich verstehen, was hier zu sehen ist: Eine Kondenswasserabflussvorrichtung für die Klimaanlage ganz im MacGyver Style konstruiert aus einer PET-Flasche, einer Wäscheleine, einem Eimer und einem Ziegelstein. Es ist immer gut, mit einem Architekten auf Reisen zu gehen.