Im Bus nach Karaikal

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein,
und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Jesaja 43:2, Lutherbibel 2017

Nach dem wir uns nun aklimatisiert haben, haben wir am Montag mal einen ersten kleinen Ausflug ohne Begleitung gewagt. Die ersten Tage zog gegen Nachmittag immer eine dunkle Regenwolke auf, aber geschüttet hat es erst Abends gegen 20 Uhr. Sehr angenehm übrigens so ein Guß nach einem heißen Tag. War natürlich klar, dass wir die große Gewitterfront gegen 16 Uhr nicht besonders ernst genommen haben. Weit gekommen sind wir dann erstmal nicht. 50 m hinter unserer Haustür, auf Höhe des katholischen Mädchenheims mussten wir uns geduldig unterstellen. Aber wir hatten ja aufbauende Lektüre.

An der Bushaltestelle waren wir eine kleine Sensation besonders für die Schulmädchen, gefühlte 100. Das setzte sich im Bus dann fort. Zwei ältere Frauen bestanden darauf, dass ich zwischen ihnen sitze, obwohl wir selbst mit Händen und Füßen nicht groß weiterkamen in der Kommunikation. Aber sie waren`s zufrieden und nach dem Aussteigen am Busbahnhof Karaikal wurden noch kräftig Hände geschüttelt und gute Wünsche ausgetauscht – glaube ich zumindest.

Im Bus nach Karaikal

Weil wir so spät los sind, war es bei Ankunft in Karaikal schon fast dunkel und es begleitete uns ein stetiger Regen. Fußgänger in Indien, zumindest in dieser Gegend, ist eine echte Herausforderung. Man braucht seine Augen 360 Grad. Bürgersteige gibt es im Prinzip nicht. Aus den Rinnsalen und Pfützen wurden größere Seegebiete.

Wir trinken einen indischen Kaffee auf dem Weg. In der Zwischenzeit habe ich auch vergessen, was wir eigentlich einkaufen wollten. Es ist jedenfalls so, dass in Thrangambadi einiges sehr verpönt ist. Rauchen, insbesondere Rauchen auf der Straße geht gar nicht. Alkohol kaufen, egal was, ist unmöglich. Ein paar Kilometer weiter in Karaikal kann man Bier und dies und das erwerben. Wir kaufen also auch eine Flasche Rum auf unserer Bummeltour – nicht, weil wir auf harte Getränke stehen. Es gibt in der Tat Alkoholkontrollen zwischen Tharangambadi und Karaikal und es ist besser nur eine Flasche Hochprozentiges mit uns rumzutragen statt 3 Flachen Dünnbier.. .

Auf dem Rückweg zum Busbahnhof, sind die Pfützen schon unüberschaubar geworden. Ein großes Auto flutet uns von oben bis unten. Wir sind klitschnaß und jetzt geben meine Schuhe auch endgültig auf. Trotzdem sind wir guter Dinge – ich denke nur „Heute Abend muss ich mich komplett desinfizieren!“ _ Ich muss hier jedoch kurz vorgreifen: Anders als erwartet, sind wir nicht von oben bis unten eingeschlammt. Zu Hause stellen wir fest, dass wir zwar komplett durchweicht, aber ebenso sauber sind.

Wieder am Busbahnhof angekommen, gibt es dort einen älteren Herren, der berufsmäßig Auskunft über die Busse, deren Abfahrtsorte und -Zeiten gibt. Nun ergreift uns aber der Hunger. Wir kehren in der Nähe ein in ein „Restaurant“. Vielleicht wäre es besser zu sagen in eine Art „Bistro“. Genaugenommen in eine kleine, schrapelige Lücke mit Kochstelle und 2 klebrigen Tischen und 6 Stühlen. Ich zeige auf so Teigklumpen am Eingang „2 pieces, please“. Darüber hinaus verstehen wir nix und sagen zu allem „Ja, Ja“. Wir können hier zugucken, wie man Barotto ( oder Parotta) macht. Aha! Schmeckt jedenfalls alles super, was auch immer es war. Thomas und ich überlegen kurz, ob wir unser Geschäftsfeld erweitern: Weiterbildungsreisen für das deutsche Hygieneamt (kicher), nachdem wir mit unseren Weiterbildungsmaßnahmen in Indien für das deutsche Bauordnungsamt einige Psychiatrieplätze überbelegt haben (noch mehr Gekicher).

Nun sind wir aber total durchgeweicht. Am Busbahnhof verstehen wir die Abfahrtszeiten Null-Komma-Nix. Also entscheiden wir uns für so ein gelbes, indisches Taxi – Auto kann man das nicht nennen – um nach Tharangambadi zurückzufahren. Der Bus hat 40 Rupie für uns beide gekostet, so umgerechnet etwa 25 Cent pro Person. Jetzt zahlen wir im ströhmenden Regen 400 Rupie zurück im Tuck-Tuck. Naja, was soll´s .

Auf dem Fischmarkt

5.30 Uhr Blick von der Terrasse der Schwedischen Mission

Heute sind wir in aller Herrgottsfrühe aufgestanden um 5.30 Uhr um mit Vinnot, Allwin und einem Koch aus dem Ort auf den Fischmarkt zu fahren. Vinnot arbeitet im Ziegenbalghaus. Allwin erledigt rund um die Uhr Dinge für das Ziegenbalghaus, und der Koch ist, wenn ich es richtig verstanden habe, heute extra engagiert, weil es im Ziegenbalghaus ein großes Seminar mit vielen Gästen gibt. Vinnot und der Koch kaufen einen ganzen Sack voll Fisch, den sie zu zweit kaum tragen können. Wenn ich mich recht erinnere hat Jesus 5000 Leute mit nur einem Fisch beköstigt.

Auf dem Weg zum Fischmarkt so gegen 6.30 Uhr
Noch schnell einen Tee und wieder ein Bild mit Kuh

Hier wird viel gestritten und diskutiert und man braucht kein Tamil um zu verstehen, dass die Fischweiber nicht aus Zucker sind.

Erste Impressionen

Thomas hat schon eine gute Zusammenfassung formuliert: Sieht aus wie Breughel mit Plastikmüll. Im Moment traue ich mich noch nicht, überall knallhart die Kamera drauf zuhalten.
Die ersten Tage haben wir gleich alles gemacht, was der Reiseführer nicht empfiehlt, wie rohes Zeug essen, barfuß laufen und an jeder Straßenecke verdrücken wir irgendwas, mal kalt, mal warm. Todesmutig habe ich mich an die Törtchen gemacht. Bis jetzt geht es uns gut.

Knallrot, quietschsüß und irgendwas mit Cocos

Eigentlich wohnen wir hier in einer recht ruhigen Ecke. Gestern morgen gegen halb 10 wurden wir von Klaviermusik aus dem Hinterhof geweckt. Klang überraschend europäisch, bisschen laut vielleicht aber nett… Hätte fast ein Stück Kirchenmusik sein können, Paul Gerhardt oder so, das klingt schlicht in Klavier für meine Ohren viel heutiger als mit Orgel. Der Pianist auf dem Nachbargrundstück steigerte sich langsam. Zuerst wurde der Klaviersound aus dem Keyboard mit einem breiten Gitarrendröhnen unterlegt, völlig übersteuert wie man es sonst von Heavy Metall kennt. Dann wurde noch dieser und jener Schrammel- und Bimmel-Effekt hinzugefügt. Ich will nicht sagen, es steigerte sich zu Trash, aber plötzlich klang es ziemlich „indisch“. Die Geräuschkulisse begleitete uns den ganzen Tag. Hier eine kleine Kostprobe:

Ein paar Meter weiter vor der Kirche – da kam die Musik her – war es dann noch etwas lauter.

Und das blieb dann im Prinzip den ganzen Tag so bis zum abendlichen Gottesdienst. Der war nicht unbedingt leiser, aber anders.

Angekommen !

Es ist ja nicht wirklich vorgesehen mal 6 Wochen komplett auszusteigen. Also habe ich am 9. September noch bis 24 Uhr gearbeitet. Schlafen wird völlig überbewertet. Bis 2 Uhr habe ich kein Auge zubekommen, um danach in halbherzigen Dämmerschlaf zu sinken. 10 vor 4 klingelte der Wecker: Auf geht´s!

Pünktlichst 5.15 Uhr am Flughafen Halle/Leipzig vorgerollt. An der Handgepäckabfertigung einen ernsten Vortrag abgeholt. Der Flughafenmitarbeiter wäre bestimmt gerne Polizist geworden. Schwupps in den Flieger gen Frankfurt/M : Abflug 6.10 Uhr. Nur 35 Minuten Flugzeit. Ich bin fassungslos. Das ist jetzt politisch total unkorrekt, aber kurz frage ich mich doch, warum ich eigentlich immer Zug fahre… In Frankfurt müssen wir dann 4 Stunden Zeit verbummeln und langsam schwächelt meine Kondition. Kaum Platz genommen im Flieger nach Chennai schaffe ich es nicht mal mehr bis zum Start und ratze sofort ein. Nicht die schlechteste Variante, denn ich schlafe quasi die ganzen 9 Stunden Flug durch.

22 Uhr 45 Ankunft in Chennai. So, nun bin ich wieder ganz gut ausgeschlafen! Glücklicherweise müssen Thomas und ich nur Jasmin Eppert hinterher dackeln. Bis jetzt kann nicht viel schief gehen. Erst verdallern wir Zeit mit Einreisepapierkram. Immerhin, man lässt uns rein, scheint also geklappt zu haben mit dem E-Visa. Dann kaufen wir noch schnell im Duty free 1 Flasche Whisky und 1 Flasche Gin. Der Gin ist selbstverständlich medizinisch indiziert und mit dem Whisky stellen wir Weltliteratur szenisch nach!

Wir satteln um auf Taxi und brausen davon in die indische Nacht gen Tharangambadi. Es ist gegen 1 Uhr nachts indischer Zeit, nur noch ungefähr 6 Stunden Autofahrt. Ich entschließe mich, einfach aus dem Seitenfenster zu gucken und nicht nach vorne aus dem Auto. Dabei ist das Verkehrssystem einfach zu verstehen: Wozu blinken, wenn man hupen kann ?! Ich hege den Verdacht, dass unser Fahrer auch nur uns zu liebe blinkt. Hier und da halten wir nachts an und trinken indischen Kaffee, super Gebräu! Langsam geht die Sonne auf…

Gegen halb 7 Ortszeit rollen wir in Tharangambadi ein und halten in einer kleinen Gasse vor unserer Unterkunft. Links ein kleines, schmuckes Häuschen. Rechts eine Baustelle. Irgendwie habe ich geahnt, dass unsere Bleibe nicht auf der linken Straßenseite liegt. Nach kurzer Besichtigung mit dem Vermieter bietet Jasmin uns an, erstmal bei ihr unterzukommen. Um so besser.

Am besten Haus am Platze gehen wir ausführlich frühstücken und lassen uns gleich mal Frühstück auf indisch vorführen. Wie war das mit den Reisewarnungen? Ach Quatsch, rein mit dem Obstsalat! Auf der Terrasse der Schwedischen Mission, unsere Bleibe, gibt’s noch schnell 3 medizinische Aufgüsse, in Ermangelung von Tonic wahlweise Gin, Gin mit Eis und Gin mit Wasser und Eis. Um 10 Uhr fallen wir in unser indisches Bett: Angekommen!

Blick von der Terrasse der Schwedischen Mission

Tharangambadi Reports

Für das Tharangambadi-Stipendium der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt habe ich in intensiven Recherchen mich mit den Halleschen Berichte aus dem 18. Jahrhundert in der Franckeschen Stiftungen beschäftigt. In diesen wurden das Alltagsleben, die Kleidung, die Ernährung und die religiösen Bräuche der Menschen in Tranquebar detailliert beschrieben. In meiner Vorstellung entwickelte sich ein buntes Panorama der damaligen Verhältnisse und der Wunsch, einmal selbst nach Tharangambadi zu reisen und nach mehr als 300 Jahren auf Spurensuche zu gehen.

Ausgehend von den einstigen Orten der Mission möchte ich, wie Bartholomäus Ziegenbalg den Dialog mit den dort lebenden Menschen suchen. Meine Gespräche und Beobachtungen sollen direkt vor Ort in individuellen Zeichnungen und in Tagebuch-berichten dokumentiert werden. In einem permanenten Wechselspiel zwischen meinen täglichen Erlebnissen und den Halleschen Berichten suche ich nach einem zeitgeschichtlichen Dialog. Im Spannungsfeld dieses Dialogs zwischen Ziegenbalg, mir und den Einwohnern Tharangambadis suche ich nach Beschreibungen über die eigene Wahrnehmung und deren Transformation über die Jahrhunderte hinweg in die heutige Zeit. Welche Relevanz und Aktualität hat Ziegenbalgs Werk und die Hallesche Mission heute in Tharangambadi? Wie blicken die Einwohner auf Ihr Leben, welche Träume und Wünsche haben Sie?

Meine Absicht ist es, diesen mehrwöchige Prozess des Umherschweifens und der Begegnungen mit den Einwohnern in einem Arbeitstagebuch zu dokumentieren und alle parallel entstandenen Zeichnungen, wie Porträts von Einwohnern, Stillleben, Grundrissen von Gebäuden oder botanische Zeichnungen und anderen zu sammeln. Aus diesem Material möchte ich eine Installation entwickeln und diese, nach Absprache mit den Verantwortlichen des Ziegenbalghauses, temporär in eine Dauerausstellung integrieren. Während meines Aufenthaltes in Tharangambadi plane gleichfalls einen Workshop mit dem Titel 100 Postcards for Halle für Kinder und Jugendliche durchzuführen.

Ähnlich wie bei der Anfertigung der Halleschen Berichte im 18. Jahrhundert werden nach meiner Rückkehr alle Tagebuchaufzeichnungen gesichtet und gegebenenfalls redaktionell für die Veröffentlichung verarbeitet. Als Tharangambadi Reports werden meine Zeichnungen und Tagebuchtexte in einer Collage mit ausgewählten Briefen, Berichten und Kupferstichen aus den Halleschen Berichten in einem Künstlerbuch vereint. Dieses soll in einer limitierten Auflage, als inoffizielle Continuation Nr. 109 der Halleschen Berichte, wenn möglich in der Buchhandlung des Halleschen Waisenhauses, veröffentlicht und präsentiert werden.

Der Count Down läuft!

Heute in einem Monat sitze ich im Flieger gen Chennai auch bekannt unter seinem alten Namen Madras. Madras – das klingt nach Orient, Abenteuer, Märchen. 8 Stunden Flug ergibt rein rechnerisch 2 Bollywood-Filme. Ein echter Tapetenwechsel. Aber bis dahin laufen die Reisevorbereitungen noch auf Hochtouren. In Kürze geht`s los mit dem Kinderkunstprojekt „Wundertütenbriefe“ in den Franckeschen Stiftungen. Meine Nichte war so freundlich mich in Vorbereitung in die Geheimnisse des Plisseefaltens einzuführen. Danach sind die ersten Gehversuche in der Rubrik Pop-up-Karten kreativ aus dem Ruder gelaufen. In Kürze hier also mehr…