Über Thanjavur nach Trichy

Mit dem Verhandeln haben wir den Bogen noch nicht so raus. In Tranquebar wurden die Dinge von Tag zu Tag billiger auch ungefragt. Das wir mal wieder mehr als nötig bezahlt haben, merken wir spätestens dann, wenn wir etwas dazubekommen. Die Obstverkäuferin steckt uns meist extra noch ’nen Apfel in den Beutel.

Auf dem Weg nach Thanjavur gab es mit dem Bus nach Mayiladuthurai (diese Ortsnamen!) Probleme und wir mussten auf eine Rikscha zurückgreifen bis zum dortigen Busbahnhof. Der Fahrer schlug 600 Rupien vor, die wir anstandslos akzeptierten. Daraufhin gab es eine für uns undurchsichtige Diskussion zwischen 7 oder 8 Rikschafahrern. In deren Ergebnis fuhr uns jemand anderes – warum auch immer. Diesmal haben wir zu dem Fahrpreis noch eine ältere Dame dazubekommen.

In Mayiladuthurai sind wir dummerweise in den Bummelbus gestiegen und waren für 90 Kilometer am Ende 5 Stunden unterwegs. Die Tempelanlagen in Thanjavur entschädigen für alles.

Die Religionsausübung ist übrigens sehr spannend und hat streckenweise etwas sehr archaisches mit Blumenkränzen, Öllämpchen, Brandopfern und Opfergaben. Wir sind trotz oder gerade wegen unserem Atheismus immer ein bisschen sensibel und rennen nicht zu jedem Heiligtum an die vorderste Front. Es kommt uns eben auch recht privat vor.

Was mir jedoch etwas schleierhaft bleibt ist die innere Nutzung der riesigen Aufbauten. In eine Anlage, wo wir quasi einen ganzen Palast vermuten, trotteln wir den anderen Besuchern einfach hinterher. Schnell verengt sich der Gang, ok, es gibt jetzt auch kein Zurück mehr. Bald wird klar, wir landen gleich vor irgendeinem Altar. Was machen die Natives? Aha, sie zücken Geld – wir also auch. Vorne angelangt darf man sich einen Punkt auf die Stirn machen und kriegt ’ne Tüte heilige Asche. Alles klar! Aber was machen die in den ganzen Etagen darüber???

Mir fällt hier übrigens auf, daß die Formensprache teilweise ans Asiatisch-Chinesische erinnert. Es soll kulturgeschichtlich jedoch andersherum sein: Die Inder ham’s erfunden und die Chinesen ham’s kopiert. Ich lasse diese Info mal so stehen.

Gegen den Verkehr hier war Chennai regelrecht entspannend. Wir residieren allerdings auch am alten Busbahnhof und hier muss irgendwie jeder lang. Tagsüber geht’s ja noch, aber morgens und abends stapeln sich die Leute. Auf der Kreuzung regelt neben der Ampel noch ein Polizist den Verkehr. Man kann nur hoffen, der Mann kriegt Gefahrenzulage.

Wir sind morgens jedenfalls nicht dazu in der Lage uns im Gedränge in den richtigen Bus vorzukämpfen und fahren per Tuck-Tuck erstmal zum neuen Busbahnhof und von dort aus weiter nach Tiruchirappalli, liebevoll kurz Trichy genannt. Hier begreifen wir dann auch endlich, daß es sogenannte 1 to 1 Busse gibt, die direkt durchfahren.

In Trichy besuchen wir als erstes die (zu mindest angeblich) größte Tempelanlage ganz Indiens, vielleicht auch nur Tamil Nadus. Aber in der Tat, die Anlage ist riesig. Es gibt 7 Tore und Mauern und dreieinhalb Ringanlagen. Es lohnt sich die Sri Ranganatha Tempelanlage bei Google Earth von oben zu betrachten.

Außerdem hat man offensichtlich ein entspanntes Verhältnis zum Kommerz, alles gepflastert mit Händlern.

Wir leisten uns hier auch einen Führer um ein bisschen Details zu erfahren. Teile des Tempels sind aus dem 14. bzw. 16. Jahrhundert. Das gigantomanische ersteTor wurde jedoch in den 1980-ern fertig gestellt. Hey Leute, ich wechsel das Land, hier wird man als Künstler noch gebraucht!

Seltsame Anekdoten gibt es auch wieder. Aus heiterem Himmel schmeißt sich uns ein Paar um die 30 vor die Füße. Ich denke “ Selfie ist ja ok, aber das geht jetzt echt zu weit“. Unser Führer klärt uns auf. Kinderlose Paare absolvieren hier einen Parkurs und bitten alle Paare, die älter sind auf die Weise um Kindersegen. Ok, wenn das so ist, lassen wir uns schnell einführen in das ganze Ritual. (Aber so ganz die Richtigen sind wir nicht für das Thema.)

Nach dem Mittagessen wollen wir dann noch da hoch:

Nur irgendwas um die 300 Stufen. Unser Rikshafahrer erweist sich als extrem sportiv und turnt vor… Dabei ist das nur ein dünnes Männel.

In Trichy gibt es tatsächlich auch an verschiedenen Stellen in den Tempeln Schilder: „Hindus only“. Unser Fahrer ist sehr um unser Seelenheil bemüht und zeigt uns, was wir wie und wo im Kreis umrunden müssen und er schleppt uns dann vor den Priester, der uns nach kurzer Diskussion mit dem Männl ordnungsgemäß segnet, Hindu hin oder her.

Auf dem Weg durch Trichy mit dem Bus finde ich raus, dass der Busfahrer 2 Huptöne hat, die er unterschiedlich bespielt. Das ist also kein wahlloses Georgel, sondern Hupcode.

Thomas findet den Verkehr noch schlimmer als in Thanjavur, aber für meine Wahrnehmungsschwelle scheint das Maximum schon erreicht. Ich kann da keine Steigerung mehr feststellen. Auf dem Rückweg irren wir in Mayiladuthurai etwas ratlos von Busbahnhof 1 zu Busbahnhof 2. Bei dieser Gelegenheit ergibt sich noch folgendes schöne Bild.

Der Elektroingenieur

In dieser Rubrik gibt’s gleich noch eine Zugabe unter der Überschrift:

Dem Ingenör ist nix zu schwör

Für alle, die nicht gleich verstehen, was hier zu sehen ist: Eine Kondenswasserabflussvorrichtung für die Klimaanlage ganz im MacGyver Style konstruiert aus einer PET-Flasche, einer Wäscheleine, einem Eimer und einem Ziegelstein. Es ist immer gut, mit einem Architekten auf Reisen zu gehen.

Girls, Girls, Girls

Aus Gründen der künstlerischen Betriebsspionage habe ich mir gewünscht, die hiesige Mädchen-Schule zu besuchen. 1500 Schülerinnen und alle haben Affenschaukeln und Schleifen.

Am Schluss habe ich befürchtet, dass sie uns nicht mehr rauslassen…

Wundertütenbriefe

Das Stipendium ist natürlich nicht nur Reisespaß. Damit verbunden ist auch ein Workshop für Kinder.

Vor 300 Jahren wechselten Briefe zwischen den Franckeschen Stiftungen und Bartholomäus Ziegenbalg, zwischen Halle und Tharangambadi. Diesem Austausch verdanken die Franckeschen Stiftungen nicht nur eine große Sammlung historisch bedeutender Schriften in Deutsch und Tamil, sondern auch diverse Objekte, die heute im Indienschrank der „Wunderkammer“ zu bestaunen sind.

Für meinen Kinderworkshop habe ich mir einen Klassiker ausgesucht und ein Medium, das langsam aus der Mode gerät, mir aber immer noch viel bedeutet: Wir schreiben Briefe und stellen so den Kontakt her zwischen Kindern aus Halle und Tharangambadi. Um die Sprachbarriere zu umgehen, bestehen die Briefe jedoch aus relativ wenig Text. Statt dessen basteln wir Pop-Up-Karten. Die deutschen Kinder erfahren etwas über das Ziegenbalghaus, die indischen Kinder etwas über die Wunderkammer. Letztlich sind die „Wundertütenbriefe“ eine Art „Basisversion“ der Sammlung der Wunderkammer.

Auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen befinden sich auch heute noch verschiedene Schulen. Mit den Kindern aus dem Krokoseum gehen wir natürlich erstmal in die Wunderkammer, einer der schönsten Orte in Halle, den ich seit meiner Ankunft 1996 als Studentin sehr liebe. Begleitet werden wir von Asma Menon und Mercy, beide aus Tamil Nadu. Asma ist indische Künstlerin und im Austausch zu Stefan und mir gerade in Halle. Ihr Projekt besteht darin für das Ziegenbalghaus in Tharangambadi einen „Deutschlandschrank“ zu bestücken mit zeitgenössischen Objekten als Pendant zum „Indienschrank“ aus dem frühen 18. Jahrhundert. Mercy ist „Bufdi“, wie es heute so schön heißt.

Außerdem kann man sich im Erdgeschoß in der Ausstellung weitere indische Objekte ansehen und es gibt sogar Hörbeispiele in Tamil.

Danach sprechen wir über Indien, speziell Tamil Nadu. Mercy hat einen Auszug aus dem tamilischen Alphabet mitgebracht, wir gucken uns Bilder an von Tempeln. Dann geht es an´s Basteln. Asma und Mercy helfen dann auch kräftig mit, insbesondere die handgeschriebenen Briefe in Tamil zu übersetzen.

Ich kann es leider an dieser Stelle nicht unterlassen mich einmal ganz bitterlich über die deutsche Post zu beschweren. Es ist seit Juli 2019 nämlich nur noch möglich, Din A6 lang Standardkuverts nach Indien zu versenden. Abweichende Formate dürfen nur noch im Falle amtlicher Dokumente verwendet werden. Danke liebe Post AG, dass Ihr die Welt ohne Not ein Stück langweiliger gemacht habt!

Im Koffer nehme ich also 11 Überraschungsbriefe mit auf die Reise.

In Tharangambadi angekommen führe ich alle Mitarbeiterinnen des Ziegenbalghauses erstmal in die Materie ein. Danach bricht auch hier das Bastelfieber aus und hält bis auf Weiteres an…

Dann geht´s zu den Kindern im katholischen Hostel, eine Mischung aus Internat und Waisenheim. Dort wohnen 450 Kinder und die katholischen Schwestern leisten ein beeindruckendes Werk der Nächstenliebe.

Am ersten Abend besuchen wir die Kinder im Hostel. Zuerst erzählen wir von der 300 Jahre alten Beziehung zwischen Halle und Thrangambadi, zeigen Bilder von der Wunderkammer und den deutschen Kindern. Neonorange Schleifen heißt übrigens 5. Klasse. Weiße Schleifen haben die Erstklässler, schwarze Schleifen gibt es in der 8. Klasse und so hat jedes Schuljahr seine Farbe. Allerdings werden die Kinder hier bereits mit 5 eingeschult. Wie man sieht, geht es hier wesentlicher strenger zu als bei uns.

Vinoth und Kiruba übersetzen und erklären alles Mögliche. Dann verteilen wir die Briefe so mehr oder weniger nach dem Zufallssprinzip und übersetzen wiederum die meist kurzen Botschaften. Das Wesentliche sind ohnehin die selbstgebastelten Karten.

Am Sonntag geht´s dann nach einer kleinen Führung im Ziegenbalghaus an das Basteln und Schreiben der Antwortbriefe. Alle Mitarbeiter im Museum helfen mit, sogar Max und Josephine, die Bufdis. Das geht auch gar nicht anders, wegen der Sprachbarriere.

Am Schluss noch ein Gruppenbild in Reih und Glied…
Aber klar, die können auch anders…
.. und richtig Quatsch machen!

Insgesamt sind es nun 14 Antwortbriefe geworden, die ich alle einzeln mit Briefmarke von hier aus per Post nach Halle geschickt habe. Na bitte, geht doch! Hier im Postamt hat man sich amüsiert und mir extra Bilderbriefmarken rausgesucht.

Jetzt heißt es warten, warten, warten…

Auf den Hund gekommen

Nachdem es heute im strömenden Regen eine Stunde herzzerreissend vor dem Haus gefiept hat, hat Jasmin einen Welpen aus ’ner großen Fütze gefischt. Jetzt folgt uns die kleine Flohschleuder schon auf Schritt und Tritt.

Herrenlose Hunde sind hier alles andere als Mangelware. Aber Jasmin mit dem Hundehändchen, der ohnehin jeder Streuner treuherzig nachdackelt, hat sich wohl insgeheim auch einen Hund gewünscht. Man kann den kleinen Fusselrollen aber auch kaum widerstehen.

Glotze – oder – Shah Rukh und ich

Im Prinzip kommen wir ja selten an einem Fernseher vorbei, aber so dann und wann ergibt es sich eben doch. Es gibt hier so um die 100 Sender, bzw. danach habe ich aufgehört weiterzuschalten. Man kommt dabei gut mit indischer Eigenproduktion aus. Es gibt also auch eine Fernsehwelt ohne amerikanische Serien.

Überall lief auf dem ersten Programm eine Dauerseifenoper (vielleicht waren es auch verschiedene Soaps) im Verhältnis 1:1 mit Werbung, dramaturgisch bildhaft emotional, so dass man dem groben Storyboard auch ohne Sprachkenntnisse folgen kann. Die Schwiegermutter kommt jedenfalls immer ganz schlecht weg.

Super finde ich die Sender, die nur alte Tanzfilme oder sogar nur Schwarz-Weiß-Filme (erinnert an Cinema Nuovo Italia aus der gleichen Zeit) ausstrahlen. Eine Steigerung sind dann die Kanäle, wo ausschließlich nur noch die Tanzscenen aus den alten Filmen über den Bildschirm flimmern. Die Zeiten wandeln sich, der Schnurbart bleibt. Natürlich gibt es auch die Dauerwerbesender, nur das hier halt Idli-Dämpfer, Dosa-Pfannen und Gold zum allerbesten Preis vertrieben werden.

Damit ich für Tamil Nadu auch in Zukunft eine Einreisegenehmigung bekomme, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, zu betonen, daß man hier jenseits von Bollywood eine eigene, sehr erfolgreiche Filmindustrie betreibt, genannt Tollywood. Leider war ich im Flugzeug über den im Board Entertainment angebotenen Tollywood Science Fiction eingeschlafen aufgrund von Übermüdung. Dabei war der Anfang recht vielversprechend: Erst erscheinen auf allen Smartphons garstig zwitschernde Singvögelchen und dann fliegen den Leuten die Handys auf und davon. Ich versuchs noch mal auf dem Rückflug.

Wie auch immer, gleich im ersten Hotel mit Glotze habe ich zielbewusst „India got Talent“ eingeschaltet, diese sich seuchenhaft auf dem ganzen Planeten verbreitende Version von DSDS oder „Deutschland sucht das Supertalent“. Das einzig Interessante daran ist, dass man sich hierbei in jedem Land schnell informieren kann über die klischeehafte Norm der gesellschaftlichen Zusammensetzung und die Randgruppe, welche in der Akzeptanz der Zuschauer mehr Sympathie erfahren soll.

Danach erscheint ein Schnellzeichner, der unter dramatischer Musik eine Figur auf die Leinwand pinselt.

Es entspinnt sich folgende Debatte. Ich: „Ehj, das wird Shahrukh Khan, ganz klar!“ Thomas: “ Das sieht ihm doch kein Stück ähnlich!“ Ich: „Papperlapapp, wer soll das denn sonst werden.“… Was sage ich? „Ich hab’s geschrieben.“ – Bei uns Zuhause die Kurzform für „Ich hab das Drehbuch geschrieben“, wenn der Verlauf mal wieder klar vorhersagbar ist:

Danach sind die eigentlichen Moderatoren der Show so gut wie abgemeldet, denn Shahrukh, der theoretisch zur Jury gehört, springt bei jeder Nummer der Kandidaten mit auf die Bühne. Dabei macht er überhaupt keine Werbung für seinen neusten Film „RA.One – Teil XY“. Is‘ er nicht großartig?! Vinoth hat auch hier noch eine Zugabe beizusteuern:

Bauhaus war gestern

Ich muss noch mal auf unsere zukünftigen Weiterbildungsreisen für das deutsche Bauordnungsamt zurück kommen. Auch der SiGeKo, Sicherheits- und Gesundheitskoordinator, der auf deutschen Baustellen sicherstellt, dass jeder Schraubenzieher TÜV geprüft ist, wäre eine lohnenswerte Zielgruppe für unser zukünftiges Angebot. Bei uns gibt es 20.000 Verordnungen, hier scheint es kaum Regeln zu geben, was man baut, wie man baut und wo man baut. So sieht man relativ häufig halbe Häuser am Strassenrand, weil die Straße gerade verbreitert wird. Und ich glaube, die Leute wohnen da auch weiterhin.

Hier ist es nur ein Haus, aber wir haben im Vorbeifahren auch ganze Halbe-Häuser -Zeilen gesehen.

Eine Ästhetikpolizei gibt es jedenfalls auch nicht. Gebaut wird, was gefällt. Und erst die Farbkombinationen und liebevollen Details !

Glitzer-LED-Reklame wurde eigens für Indien erfunden, glaube ich

Ein beliebtes Motiv im öffentlichen Raum ist die goldene Statur einer bedeuten Persönlichkeit.

Im Rahmen unserer gesellschaftlichen Verpflichtungen waren wir neulich zum Essen eingeladen bei Mr. Aman Nath, Besitzer vom Bungalow On The Beach. Als Eigentümer eines Indien umspannenden Hotelimperiums geht er seiner Leidenschaft nach als „Architekt ohne Studium“, wie er gern selbst betont. Thomas schien sein Lieblingsgesprächspartner und er hat uns auf dem Handy Bilder von seinen Bauprojekten samt Baustellenansicht gezeigt. Unter anderem dieses fast italienisch anmutende Idyll, ein altes Fort auf einem Berg. Dabei ist, wenn ich es richtig verstanden habe, nur ein Teil alt, der andere neu.

Neemrana Fort Palace bei Jaipur

Eine andere beeindruckende Anlage war ein 2 Etagen unter die Erde gebautes SPA (wegen klimatischen Eigenschaften), ein Oktagon aus Naturstein und Licht. Insbesondere die Baustelle sah aus wie eine Grabungsstätte. Am Eingang stehen 2 Palmen, damit man oberirdisch erkennt, wo das Gebäude „steht“, oder besser, verbuddelt wurde. Sein Lebenswerk ist jetzt auch für einen internationalen Architekturpreis vorgeschlagen. Aman Naths vor 5 Jahren verstorbener Freund und Geschäftspartner Francis ist wiederum der Vater von Ernestos bestem Freund und so hängt das hier alles zusammen… Ich will jetzt wirklich keine Werbung machen, aber wer mal einen Blick auf den Chairman werfen will, folge diesem Link:

https://www.neemranahotels.com/about-us/founder-chairman.html

Mir wird langsam klar, warum unsere Jungarchitekten so gerne Projekte in der 2. und 3. Welt machen. Da kann man noch die Sau raus lassen, wenn man das nötige Kleingeld mitbringt oder über den passenden Mäzen verfügt.

Auroville – Mamalapuram – Chennai

Es ist geradezu sträflich, dass ich es über 2 Wochen nicht geschafft habe vom Fortgang unserer ersten kleinen Rundreise zu berichten. Da es gleich um die Ecke von Pondicherry liegt, haben wir einen kleinen Abstecher nach Auroville gemacht. Wem Auroville nichts sagt, der lese sich bitte bei Mutti Google schlau. Während unser Freund Ernesto hier noch schnell innere Einkehr suchte vor seinem chaotischen Rückflug von Chennai über Bangkok nach Madrid (wir haben ihm geraten, seine Wünsche ans Universum präziser zu formulieren), haben wir uns nur die schnelle Rein-Raus-Touritour gegeben. Einmal zum Allerheiligsten und zurück in 30 Minuten.

Mit Passierschein vorm Schrein

Sicher, wir sehen hier ohnehin nur einen ganz kleinen Ausschnitt von Indien und sicher wäre es interessant gewesen sich anzusehen, wie die Aurovillianer leben und was sie sich aufgebaut haben, das haben wir jedoch ausgespart. Man muss wohl erst den allgemeinen indischen Verkehr und die stetigen Müllhaufen am Wegesrand live erlebt haben, um zu verstehen, warum mein folgender Kurzbericht über Auroville derart unspirituell ausfallen kann.

Auf dem folgenden Video sieht man einen einzigen großen Baum mit Luftwurzeln.

Obwohl die Mehrheit der Bewohner mit rund 43 % Inder sind, gefolgt von 14 % Franzosen und nur 9 % Deutschen, kommt man sich bereits auf dem wohlgeordneten Parkplatz mit Parkschein vor wie in „Klein-Deutschland“. Es gibt blaue Passierscheine, die hier und da nach dem Überqueren nahezu menschenleerer Straßen gestempelt werden. Auf den Straßen liegt Betonverbundsteinpflaster, es gibt Fußgängerüberwege mit dazugehörigen und vertraut deutsch aussehenden Straßenschildern (und dabei gar keinen Verkehr), beschilderte Radwege und !!! Mülltrennung !!! Ich werd nicht mehr !

Von hier aus geht´s schnurstraks weiter nach Mamalapuram mit unserem Lieblingsvehikel, dem Bus. Der Rikschafahrer, der uns die letzten Meter in die Innenstadt kuscht, zeigt uns mal schnell ungebeten ein mittelpreisiges Hotel mit Pool, aber Thomas besteht darauf, dass er uns etwas besseres ausgekundschaftet hat – näher am Strand, mehr im Zentrum, viel billiger. So logieren wir treffsicher in der einzigen Touristenmeile der Stadt. Ja es ist billig, allerdings taugt das Wasser noch nicht mal zum Duschen (Kratzalarm) und ich versetze das Klamottenwaschwasser das erste (und bisher einzige) Mal mit Desinfektionsmittel. Wir wollten ja Abenteuer, den ganz authentischen Spaßfaktor!

Mamalapurams Baudenkmäler aus dem 7. bis 9. Jahrhundert sind Weltkulturerbe

Nach dem wir die wirklich übersichtliche „City“ erlaufen haben, stelle ich natürlich fest, dass das Hotel mit Pool gleich um die Ecke liegt. (Thomas läßt an dieser Stelle ausrichten: „Das ist gar nicht wahr, nein, nein.“)

Immerhin, man kann hier tatsächlich mal in eine Bar einkehren und einfach so ein Bier trinken ohne dass man es in der Teekanne mit Kaffeebechern serviert kriegt. In „Babus Bar“ retten wir dem gleichnamigen Besitzer den Umsatz, denn wir sind die nahezu einzigen Touristen im Ort und das hat Gründe. Um den 11. Oktober treffen sich der indische Premierminister Modi und der chinesische Generalsekräter Xi Jinping hier vor Ort. Ganz Mamalapuram ist vollgestopft mit Arbeitsheeren, überall wird neuer Rollrasen gepflanzt, die Tempel (ungelogen!) mit Zahnbürsten gereinigt, in allen Tempelanlagen gepflasterte Wege angelegt, die neue Ortsstraße ist schon (fast) fertig und, wie sich später herausstellt, werden sogar die schwarz-weißen Warnstreifen auf der gesamten Autobahn von hier bis Chennai von Kolonen von indischen Arbeitern neu gestrichen und der Mittelstreifen mit Blumen bepflanzt. Hat was von sozialistischer Schaufensterdekoration, achja, ist ja alles für Xi Jinping. Die ortsansässigen Gewerbetreibenden sind, gelinde gesagt, entnervt, weil aus Sicherheitsgründen jedes kleine Vordach abgesägt wird und tagsüber wird der Strom abgestellt (umgeleitet für die Baustellen). Die kleinen Futterstände mussten schon 3 Wochen vorher einpacken und verschwinden. Selbst die Surfschulen werden bis Chennai hoch für 14 Tage dicht gemacht. 12.000 Sicherkräfte werden erwartet. Schon aufregend so ein Staatsbesuch. Dass Nachrichten immer nationalen Prioritätenfiltern unterliegen, ist mir ja nicht unbekannt. Dass aber das Gipfeltreffen der beiden bevölkerungsstärksten Länder, bei welchem es u.a. auch um Chinas Aktien in Kaschmir geht, den deutschen Nachrichten keine Meldung wert ist, wundert mich nun doch.

Überall wird Rollrasen verlegt…
…Wege gepflastert…
…gemacht und getan

Trotzdem gefällt es uns in Mamalapuram, auch Mahabalipuram genannt, ganz gut und wir bleiben 2 Tage. So richtig lustig wird es am 2. Abend. Babu und wir tauschen Hitlisten aus, die indisch-laut von der Dachterrassenbar die Straße beschallen. Wir kennen ja im Prinzip nur alte Kamellen, aber Babu find´s total lustig, als nach den „White Stripes“ „Nirvana“ endgültig die Nachbarn entsetzt auf die Balkone treten lässt. Die Jugend stürmt den Laden, wir sagen dann lieber mal gute Nacht, bevor uns jemand das konterrevolutionäre Teufelswerk in die Schuhe schiebt.

Blick von Babus Bar auf die Touristenmeile

Am Freitag treffen wir uns mit Jasmin kurz vor Chennai in einem sehr schönen Museum, Dakshina Chitra, in dem alte Profanbauten gesammelt werden, Originalbauwerke aus allen Teilen Indiens, die zum Abriss standen und dort wieder aufgebaut wurden. Es ist wie überall. Die traditionellen Bauweisen, mal schlicht, mal opulenter sehen nicht nur schön aus, sondern haben allesamt ein ausgetüfteltes Klimatisierungsprinzip und zum Teil ziemlich raffinierte Mehrzweckmöbel. Und trotzdem baut man allerorten mit Beton… Im Museum sehen wir uns mit vielen Kindern klassisches, indisches Puppentheater an, das mit den hinterleuchteten Figuren aus Pergament. Die Figuren heißen hier Krishna, Shiva und Maharadscha, aber die Story ist so ähnlich wie bei Kasperle, Polizist und Krokodil: Irgendjemand wird vermöbelt. Am späteren Nachmittag wohnen wir noch einer Ausstellungseröffnung bei. Dann geht´s weiter in die Künstlerkolonie Cholamandal.

Dakshina Chitra
Ausstellungseröffnung

Mitte der 1960-er Jahre, also etwa zeitgleich mit Auroville, hat der charismatische Künstler und Lehrer K.C.S. Paniker mit einer Handvoll Schülern ein Grundstück gekauft, im Prinzip ein Stück Sand am Meer, weit abseits der Großstadt um eine Art Künstlerkommune aufzubauen. Hier treffen wir 3 Generationen von Künstlern. Die Urgesteine erzählen uns, wie sie mit Anfang 20 hier im tatsächlichen Nichts angefangen haben mit Strohhütten im Nirgendwo. Heute ist die Kolonie eine Oase umzingelt von der sich ausbreiten Großstadt. Aus den Strohhütten sind propere Anwesen geworden auf denen jeder sein Haus so gebaut hat, wie es ihm beliebt. Es gibt eine mittelgroße Ausstellungshalle, eine kleine Galerie, Gästezimmer und Gästestudios.

Unser Gästehaus im Künstlerdorf. Großzügig und spartanisch zugleich. Thomas meint, er fühle sich wie der junge Gandhi auf Durchreise.
Ich besuche verschiedene Künstler
Strand hinterm Künstlerdorf

Nachdem Stefan angekommen ist, stellen wir an einem Abend unsere Arbeit vor und es gibt Gespräche mit Interessierten, Künstlern, Kunstliebhabern, Studenten. Die älteren Künstler erzählen, dass es früher sehr enge Beziehungen nach Deutschland gab und man sich freuen würde, die wieder zu reaktivieren.

Stefan und ich stellen unsere Arbeit vor. Jasmin würdigt Gopinath, Urgestein der ersten Stunde, mit einem Seidenschal, die indische Version von Blumen überreichen.

Ein echtes Kuriosum ist unser Besuch in der ältesten professionellen Galerie in Chennai. Der Uberfahrer schüttet uns irgendwo im Slam aus und ich denke, nee, hier sind wir bestimmt total falsch. Aber hinter einer Blechtür öffnen sich 3 Etagen in Marmor und Weltkunst.

Unser kleines Eckrestaurant. Viele Grüße aus Qualityland.
Shoppingmall in Chennai. Abgesehen von den Sarishops, hat man die gleichen Ketten wie in ganz Europa. Wie öde. Zu komisch: Man vertreibt auch aktuell die europäische Winterkollektion, dabei sinkt die Temperatur hier im Januar nicht unter +25 Grad.

Chennai ist ansonsten unspektakulär und stressig. Wir üben mit Jasmin über die Straße gehen. Halloballo, völlig irre sollte man nicht sein, aber auch nicht zu zaghaft, sonst wartet man bis zum Sanktnimmerleinstag auf die passende Lücke. Wenn man erstmal auf der Straße steht (Fußgängerampeln oder Überwege Fehlanzeige), halten die Leute auch an oder weichen aus. In Indien wird man bestimmt nicht mit Absicht überfahren – höchstens aus Versehen.

Als wir nach 10 Tagen wieder in Tharangambadi einreiten, kommt mir der kleine Ort sehr aufgeräumt und sauber vor. Und soooooo entspannnnt!

Zur Belohnung gibt es eine Abendstimmung mit skurriler Wolke

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PS für den Käpt’n: Ich habe sie gefunden, links unter dem großen Stoßzahn, tanzen die Mäuse um die Jogikatze!

Hochzeitstempel in Thirukdaiyur

Mittlerweile ist auch Stefan Schwarzer eingetroffen und Max aus dem Erzgebirge, der ein freiwilliges soziales Jahr hier absolviert. Am Samstag haben wir Fünf mal wieder vor dem Aufstehen einen kleinen Ausflug gemacht nach Thirukdaiyur.

Im Inneren

Dort im Tempel erneuern langverheiratete Paare ihren Bund, ich vermute mal, das ist so ähnlich, wie bei uns Silberne und Goldene Hochzeit. Auf dem ersten Bild oben sieht man unzählige Hochzeitsgesellschaften im Tempel.

.. und endlich habe ich meinen ersten Elefanten gesehen

Diesmal haben wir 5 Bleichgesichter die Aufmerksamkeit der Presse erregt, nachdem wir diverse Paare mit Selfies von sich mit uns beglücken konnten.

Thomas fotografiert die Hochzeitsgesellschaft, die sich mit uns fotografiert

Einmalig mal wieder die Geräuschkulisse (gehört zum ersten Bild), auch wenn die Aufnahme etwas verwackelt ist.

Und hier noch ein bisschen Nachschlag in der Rubrik „Glitzer geht immer“ – oder: Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit:

Da wir uns in unser Gastdomizil immer besser einpassen, sind wir gleich mal hin und zurück zu Fünft in der Rikscha gefahren, weshalb Jasmin und Max auch hinten im Gepäckraumzwickel mitfahren mussten und uns das folgende schöne Video gedreht haben.

Immer wieder Sonntags…

Punkt 6.30 Uhr ist es vorbei mit dem Schönheitsschlaf, von Nacht-, gar Sonntagsruhe ganz zu schweigen. Jesus is calling. Um 6.37 Uhr schäle ich mich aus dem Bett und mache mich sonntagsfein, um zur Kirche zu gehen. Dann fällt mir auf, dass noch abgeschlossen ist und ich will Jasmin und Vinoth nicht wecken. Aber können die wirklich noch schlafen? Gut, dann muss diese Hörprobe vom Balkon erstmal reichen.

7.07 Uhr, Balkon:

Indien ist ein Land, das man musikalisch entdecken muss.

Hier spielt übrigens die Musik.

8.45 Uhr. Der Gottesdienst hat begonnen. Zwecks Tonaufnahmen habe ich mich mit dem Handy draußen in der Nähe der Lautsprecher postiert. Es ist ohrenbetäubend laut. Also Lautsprecher bitte voll aufdrehen für das nächste Stück, um das richtige Sonntags-in-Tharangambadi-Feeling zu bekommen:

9.00 Uhr. Vinoth passt mich vor der Kirche ab und überzeugt mich mit reinzukommen. Ausgerechnet heute werden nur Lieder gesungen, die ich nicht kenne…